Die seit Jahren andauernde Debatte um eine mögliche Teilung der bislang einheitlichen deutschen Stromgebotszone geht in die nächste Runde. Denn in dem in der Vorwoche vorgelegten „EU Bidding Zone Review“ (BZR) hat sich der Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (Entso-E) für eine solche Aufteilung in insgesamt fünf Preiszonen ausgesprochen. Folge wäre, dass der Strom zwar im Süden etwas teurer, dafür im Norden aber günstiger würde. Insgesamt könnten zudem durch das dann effizientere Marktdesign pro Jahr 339 Mio. € an Kosten eingespart werden, haben die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) ausgerechnet.
Entsprechend kontrovers wurde der Bericht aufgenommen: Scharfe Kritik kam aus Bayern, Lob dagegen aus Schleswig-Holstein. Aber auch der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) und die Bundesnetzagentur (BnetzA) sehen die BZR-Empfehlungen äußerst skeptisch.
Eine Teilung der Stromgebotszonen empfehlen schon seit Langem Energieökonomen wie etwa die Wirtschaftsweise Prof. Veronika Grimm. Die Fürsprecher argumentieren, dass dadurch das Marktdesign deutlich effizienter werden könnte. Hintergrund ist, dass im Norden sehr viel Erneuerbarer Strom produziert wird, die großen industriellen Abnehmer dagegen vor allem im Süden der Republik angesiedelt sind. Gleichzeitig fehlt es aber an den notwendigen Übertragungsnetzen, um den Strom von Nord nach Süd zu transportieren.
Daraus entstehende Fehlanreize im Stromsystem treiben teils absurde Blüten: Wenn etwa die Stromproduktion im Norden und die Nachfrage im Süden sehr hoch sind, müssen an der Küste Windkraftparks abgeregelt und dafür teure Gaskraftwerke im Süden hochgefahren werden. Zugleich gelten im Süden die gleichen, vergleichsweise niedrigen Stromkosten wie im Norden.
Pump- oder Batteriespeicherbetreiber in Bayern bekommen dann das gleiche Preissignal wie Abnehmer in Schleswig-Holstein, obwohl der günstige „Nordstrom“ bei ihnen gar nicht ankommt, aber sie speichern dennoch Strom ein und verschärfen damit das Problem weiter. In der Folge müssen Netzbetreiber regelmäßig durch manuelle Eingriffe diese Fehler „reparieren“. Dieser Redispatch verursacht Milliardenkosten und wird an die Verbraucher weitergegeben.
Bayern und Schleswig-Holstein uneinig
Laut BZR würden bei einer Teilung der Stromzonen die Strompreise in Bayern bei einer Teilung in fünf Zonen um etwa 0,13 ct/kWh steigen – die Großhandelspreise in Schleswig-Holstein dagegen um 0,8 ct/kWh sinken. Noch nicht berücksichtigt sind dabei allerdings die durch den geringer werdenden Redispatch-Bedarf bundesweit sinkenden Netzentgelte. Wie der Energieökonom Prof. Lion Hirth erklärte, sei durchaus denkbar, dass dadurch auch im Süden für die Verbraucher der Strompreis unterm Strich sinke.
Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Tobias Goldschmidt (Grüne) begrüßte erwartungsgemäß die Empfehlungen des BZR „ausdrücklich“. Grüner Wasserstoff für ganz Deutschland könnte bei sinkenden Großhandelspreisen in Schleswig-Holstein entsprechend günstiger erzeugt werden. Die im Süden dann um 0,13 ct/kWh steigenden Strompreise seien wahrlich kein Anlass, eine Deindustrialisierung herbeizureden. Zu Befürchtungen, dass der Erneuerbare-Zubau im Noden zum Erliegen komme, bestehe angesichts der etwas niedrigeren Strompreise kein Anlass. „Ich fordere die neue Bundesregierung auf, Marktwirtschaft nicht nur in Sonntagsreden zu predigen, sondern auch zu machen“, sagte der Grünen-Politiker.
Anders blickt Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) auf den Sachverhalt. „Die Idee einer Aufspaltung ist nicht nur teuer, sie ist auch ein Angriff auf den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt“, warnte er. Unterstützung für seine Position kann Aiwanger wohl von der kommenden Bundesregierung erwarten. „Der Koalitionsvertrag spricht eine deutliche Sprache: Deutschland soll eine einheitliche Strompreiszone bleiben“, sagte der Politiker der Freien Wähler. Dies dürfe nicht infrage gestellt werden.
Auch BEE und BNetzA warnen
Kritisch äußerte sich auch der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Seine Behörde rät dazu, „wegen der hohen Marktliquidität und Planungssicherheit für Verbraucher und Einspeiser, Wirtschaft und Industrie bei einer einheitlichen Gebotszone zu bleiben“. Stattdessen müsse vor allem der Netzausbau vorangetrieben werden.
Ähnlich sieht dies die Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE), Dr. Simone Peter. „Eine Teilung mag theoretisch funktionieren, hält aber dem Praxis-Check nicht stand“, sagte Peter. Sie bezeichnete die Debatte als „Geist, der besser in der Flasche bleibt“. Denn auch sie rechne mit negativen Folgen für die Preisentwicklung, Investitionen und den Ausbau der Erneuerbaren Energien. „Potenziellen geringen Vorteilen in einigen Bereichen des Kurzfristmarkts stehen deutliche Nachteile im gesamten Langfristmarkt gegenüber”, so die BEE-Präsidentin.
Ob die Teilung der Stromgebotszone tatsächlich kommt, hängt letztlich auch an der EU-Kommission. Diese könnte am Ende Berlin zu dem eigentlich ungewollten Schritt zwingen. Denn laut Brüsseler Regularien müssen EU-Mitgliedstaaten mindestens 70 % der grenzüberschreitenden Leitungen für die Übertragung in Nachbarländer zur Verfügung stellen können. Deutschland verfehlt dieses Ziel allerdings seit Jahren.