Der Großteil unserer heutigen Nahrungspflanzen war unseren Vorfahren noch unbekannt. Das gilt umso mehr, je weiter wir in der Geschichte zurückblicken. Gleichzeitig wurden in früheren Jahrhunderten in Mitteleuropa Pflanzen angebaut und verzehrt, die heute ein Nischendasein fristen. Manche Arten und Formen scheinen gar ganz verschwunden.
Die Anfänge der Kultivierung von Pflanzen sind weltweit mit dem Beginn der Sesshaftigkeit vor ungefähr 10.000 Jahren verbunden. Erst der jahrtausendelange Prozess der züchterischen Veränderung brachte aus Wildpflanzen unsere heutigen Nahrungspflanzen hervor. Manche Kulturpflanzen wie Lauch, Salat (Lattich) oder Puffbohnen (Vicia faba) wurden dabei so stark verändert oder sind schon so lange in Kultur, dass keine ursprüngliche Wildform mehr bekannt ist.
Die vermutlichen Ursprungsformen unserer Nutzpflanzen sind in rund zehn geografischen Gebieten zu finden, die auf fast allen Kontinenten verteilt liegen (Vavilov-Zentren). Das einzige in Europa liegende Ursprungsgebiet umfasst die Mittelmeerländer; hier wurden unter anderem Einkorn, Erbsen, Hopfen, Spargel und Kohl in Kultur genommen. Andere in Mitteleuropa schon früh angebaute Kulturen wie Gerste, Hirse und Lein stammen hingegen ursprünglich aus Kleinasien und Nordafrika (Äthiopien).
Weil aus der Zeit der frühen menschlichen Siedlungen keine schriftlichen Überlieferungen existieren, können Rückschlüsse auf die damals gebräuchlichen Nahrungspflanzen nur aus archäologischen Funden gezogen werden. Wichtige Hinweise gibt die Archäobotanik, die neben Früchten und Samen auch an historischen Grabungsstellen aufgefundene Pollen und Sporen auswertet. Dabei ist nicht immer klar, ob es sich um wild gesammelte oder um bereits auf Feldern und in Gärten kultivierte Pflanzen handelt. So wurden in mitteleuropäischen Siedlungen der Jungsteinzeit bereits Spuren von Äpfeln gefunden. Ob diese aber von wilden Äpfeln stammen oder ob die Menschen damals schon begonnen hatten, Apfelbäume gezielt anzupflanzen und in der Folge auf Fruchtgröße und Geschmack auszulesen, bleibt offen.
Die ältesten bekannten Ackerbaukulturen Europas nördlich der Alpen entstanden vornehmlich auf fruchtbaren Lößböden entlang der Flussläufe auf einem breiten Streifen zwischen dem heutigen Ungarn und Nordfrankreich. Angebaut wurden zu dieser Zeit vor allem Gerste, Emmer, Erbsen, Linsen und Lein, seltener Einkorn, Hirse und (Schlaf-)Mohn. Ein beträchtlicher Teil der Nahrung, vor allem Kräuter, Blattpflanzen, Wurzeln und Früchte, stammte damals vermutlich noch aus Wildsammlung.
Regionale Unterschiede
In der mittleren Jungsteinzeit ab etwa 4500 vor unserer Zeitrechnung (v. u. Z.) dehnten sich die Ackerbaugebiete Richtung Süden bis ins Alpenvorland aus, nach Norden hin über das norddeutsche Flachland bis nach Dänemark und Südschweden. Dabei differenzierten sich regionale Unterschiede heraus. So spielten im milden Bodenseeraum der Anbau von Nacktweizen und Mohn sowie von Flachs zur Fasergewinnung eine große Rolle. In Norddeutschland hingegen war Gerste das Hauptgetreide vor Emmer und Einkorn, der anspruchsvollere Weizen wurde hier nur vereinzelt angebaut. An Hülsenfrüchten gab es anfangs im Norden nur Erbsen, während in Süddeutschland auch Linsen kultiviert wurden. Erst zu Beginn der Bronzezeit (etwa 2000 v. u. Z.) kamen Ackerbohnen hinzu, die in Nord- und Ostdeutschland bald zu den wichtigsten Nahrungspflanzen zählten.
Zum Getreide gehörte auch eine zahlreiche, bunte Ackerbegleitflora. Manche Wildkräuter, die in archäologischen Ausgrabungen nachgewiesen worden sind, gelten heute als ausgestorben. Auch Hafer („Flughafer“), Roggen und Leindotter tauchten in Mitteleuropa anfangs als „Unkraut“ in Getreidefeldern auf. Im ersten Jahrhundert v. u. Z. wurde Hafer an der Unterelbe bereits feldmäßig angebaut, Leindotter wurde seiner öl- und eiweißhaltigen Samen wegen kultiviert.
In den folgenden Jahrhunderten nahmen die regionalen Unterschiede im damaligen Germanien beträchtlich zu, denn die Römer brachten eine Vielzahl neuer Kulturpflanzen über die Alpen, darunter viele Gemüse- und Obstpflanzen, die im nicht römisch besetzten Norden nicht oder nur mit großer Verzögerung Einzug hielten. So konnte aus Brunnenfunden in Süddeutschland der Anbau vielfältiger Getreide nachgewiesen werden, Dinkel machte neben Gerste nun den Hauptanteil der Nahrung aus. An Hülsenfrüchten wurden neben Linsen, Erbsen und Ackerbohnen auch Speiseplatterbsen (Lathyrus sativus) verzehrt.
Anderes Gemüse gab es offenbar wenig – hauptsächlich Sellerie, Kohl und Schildampfer. Dafür wurden viele Gewürzpflanzen wie Fenchel, Kümmel, Wacholderbeeren und Hopfen verwendet. Gefunden wurden auch zahlreiche Spuren von bis heute medizinisch gebrauchten Pflanzen wie Malve, Schafgarbe, Thymian und Wegerich. In Norddeutschland waren Emmer, Hirse, Leindotter und Bohnen sowie Lein die wichtigsten Kulturen, Letzterer auch als Faserpflanze. Im Bereich der Nordseeküste, wo die Böden durch häufige Überflutungen salzhaltig waren, gediehen neben Lein vor allem Gerste, Ackerbohnen und Hafer.
Klimatisches Auf und Ab
Während zur Römerzeit nördlich der Alpen im Vergleich zu heute vermutlich ähnliche bis etwas wärmere Temperaturen herrschten, was die Etablierung mediterraner Pflanzen begünstigte, folgten im Frühmittelalter Jahrhunderte mit deutlich kälterem und nasserem Klima. In der Folge nahm nicht nur die Pflanzenvielfalt wieder ab, auch reifte das Getreide, das nach wie vor die Nahrungsgrundlage bildete, häufig nicht aus oder es gab Überschwemmungen, sodass es immer wieder zu Missernten und Hungersnöten kam. Auch aufgrund von Kriegen und Seuchen bei Mensch und Vieh ging die Bevölkerungszahl stark zurück. Siedlungen wurden verlassen, ehemalige Ackerflächen holte sich die Wildnis zurück.
Erste schriftliche Quellen, aus denen ein neuer Aufschwung von Landwirtschaft und Gartenbau hervorgeht, gibt es gegen Ende des ersten Jahrtausends u. Z. In dieser Zeit werden nördlich der Alpen viele Kloster gegründet. Insbesondere Benediktiner- und Franziskanermönche bringen aus Italien Pflanzenableger und Gartenwissen mit, ziehen in ihren Gärten vielfältige Heilkräuter, Gemüse und Würzpflanzen und beleben den Obstbau neu. Auch weltliche Gutshöfe sind ein Hort der zahlreichen neuen Nutzpflanzen, darunter verschiedene Zwiebelformen, Lauch, Rettich, Amarant, Gurken, Mangold, diverse Minzen, Salbei und Liebstöckel. Im mittelalterlichen Wärmehoch (etwa zwischen 1000 und 1300) gedeihen auch Vigna-Bohnen und Kichererbsen, Melonen, Pfirsiche und Esskastanien.
Bis diese Pflanzenvielfalt im Norden ankommt, dauert es allerdings ein wenig. Um 1150 werden im Marschland zumindest Küchenzwiebeln großflächig angebaut – ursprünglich waren hier nur wilde Allium-Formen bekannt. Der Weinanbau breitet sich im 13. Jahrhundert bis nach Schottland und Südskandinavien aus. Seit der Erfindung des Wendepflugs ist Roggen zur Hauptgetreideart geworden. Ab dem 14. Jahrhundert kommt Buchweizen nicht nur als Brotfrucht, sondern auch zum Bierbrauen auf und etabliert sich vor allem auf armen Sand- und Moorböden. Der Anbau von Ölsaaten, vor allem Lein, Rübsen und Leindotter, gewinnt an Bedeutung; die ersten Ölmühlen entstehen. Das aus den Samen gewonnene Öl wird nicht nur zu Speisezwecken verwendet, sondern auch zur Befüllung von Lampen.
Bedrohte Sortenvielfalt
Beim Gemüse gibt es inzwischen eine große Vielfalt, die fortwährend durch neu hinzukommende Arten ergänzt wird: Neben Kürbissen, Gartenbohnen und später auch Feuerbohnen aus Amerika werden in den Gärten Radieschen aus Italien, Spinat aus Spanien, Schwarzwurzeln aus Frankreich gezogen. Teilweise verdrängen neue, für besser befundene Arten aber auch die bisherigen: So geht mit der Verbreitung der Gartenkürbisse (Cucurbita) der Anbau des Flaschenkürbisses (Lagenaria) zurück; Gartenmelde und Mangold werden vom Echten Spinat verdrängt; manche Arten wie die Spargelerbse haben nicht mehr als eine regionale Bedeutung.
Dafür aber gibt es, da die Saatgutvermehrung auf den Höfen und in den Gärten stattfindet, viele unterschiedliche, an die jeweiligen Bedingungen angepasste regionale Sorten. Auch der Obstbau floriert und führt zu einer großen Vielfalt an Apfel- und Birnen-, Pflaumen- und Kirschsorten, die auf den Wiesen rund um die Höfe wachsen.
Besondere Bedeutung kommt der Kartoffel als neuem Grundnahrungsmittel zu. Nach Schleswig-Holstein gelangt die Knolle aus Amerika vergleichsweise spät, wird dann aber bald zu einem so wichtigen Ernährungsbestandteil, dass die Krautfäule der 1840er Jahre auch hier zur Hungersnot führt. Die heute so gewöhnlichen Tomaten finden in Deutschland erst nach 1920 allgemeine Verbreitung, Zucchini, Knollenfenchel und Zichoriensalate sogar erst in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg.
Während immer mehr Pflanzen aus aller Welt Küche und Garten bereichern, sind (und das gilt bis heute) gleichzeitig viele alte Arten vom Verschwinden bedroht: Einkorn und Emmer, Mispel und Quitte ebenso wie viele Gemüse- und Obstsorten, die bei der „Marktfähigkeit“ und der Vereinheitlichung des Angebots nicht mithalten können. Gab es etwa Mitte des 19. Jahrhunderts noch eine bunte Palette weißer, gelber, dunkelroter und violetter Möhrensorten, setzte sich im 20. Jahrhundert die orangefarbene Einheitsmöhre durch. Von rund 2.000 Apfelsorten allein in Deutschland machen heute genau sieben (!) den Großteil der gehandelten Früchte aus, darunter nur eine einzige „alte“ Sorte.
Auch durch die Professionalisierung und zunehmende Zentralisierung des Saatgutanbaus und -handels droht die über einen so langen Zeitraum geschaffene Vielfalt an Kulturpflanzen verloren zu gehen, insbesondere die vielen regionalen Sorten. Zum Glück gibt es seit einigen Jahrzehnten eine Gegenbewegung, die den in jahrtausendelanger Züchtungsarbeit entstandenen kulturellen wie kulinarischen Reichtum der Menschheit, der in den alten Arten und Sorten liegt, schätzt und zu erhalten sucht.