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Aussetzung der Stilllegungspflicht zu spät für Getreide

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Die Aussetzung der verpflichtenden Stilllegung von 4 % der Ackerflächen wird sich nicht nennenswert auf die diesjährige Getreideernte auswirken.

„Die Entscheidung ist absolut richtig, kommt aber für den Getreideanbau schlichtweg zu spät“, betont der Getreidemarktexperte des Deutschen Raiffeisenverbands (DRV), Guido Seedler. Er erklärt: „Die Fruchtfolgeplanung erfolgt bereits vor der Herbstaussaat. Dann entscheiden die Landwirtinnen und Landwirte, welche Kulturen sie auf ihren Flächen aussäen wollen.“ Da überwiegend Wintergetreide angebaut werde, fehle jetzt die Fläche. Außerdem benötige eine ausreichende Saatgutversorgung einen zeitlichen Vorlauf. Das zeigt auch die knappe Versorgung mit Saatgut für Sommerungen in diesem Jahr.

„Gerade Getreide und Ölsaaten werden auf dem Weltmarkt gebraucht. Daher ist es bedauerlich, dass die Streichung der Stilllegungspflicht erst im März beschlossen wurde. Dies gilt umso mehr, da wir bekanntermaßen in diesem Jahr bei der Anbaufläche von Getreide einen neuen Tiefststand erreichen. Jeder Hekt­ar zählt“, macht Seedler deutlich. Studien zufolge soll die Nachfrage nach agrarischen Rohstoffen bis zum Jahr 2050 um 50 % ansteigen. Der DRV fordert EU-Kommission und Bundesregierung daher auf, gesetzliche Änderungen, die die Fruchtfolge betreffen, frühzeitig vorzunehmen. Nur dann bestehe in der Landwirtschaft und in der Saatgutwirtschaft ausreichend Zeit, sich auf die veränderten Rahmenbedingungen einzustellen und sie zum Erfolg zu führen.

Raps und Getreide zeigen einen deutlichen Vegetationsvorsprung. Dank des warmen Wetters und der guten Wasserversorgung in den Böden haben sich die Kulturen gut entwickelt. Seedler: „Die teilweise sommerlichen Temperaturen in den vergangenen Tagen führten dazu, dass die Pflanzen im Durchschnitt einen Vegetationsvorsprung von rund zehn Tagen im Vergleich zum langjährigen Mittel zeigen.“ Das ist nach Aussage des DRV-Experten grundsätzlich unproblematisch. Allerdings steige die Gefahr, dass Spätfröste den Pflanzen Schäden zufügten. „Je weiter eine Pflanze entwickelt ist, umso empfindlicher reagiert sie auf Frost“, betont Seedler. Insgesamt geht der DRV weiterhin von einer Getreideernte in Höhe von gut 41 Mio. t und einer Rapsernte in Höhe von knapp 4 Mio. t aus. Diese Ergebnisse liegen unter denen des Vorjahres und sind in erster Linie auf geringere Anbauflächen zurückzuführen. DRV

Pachtpreise steigen weiter

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Die Pachtpreise für Agrarflächen in Deutschland sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, wie aus den aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) hervorgeht.

Im Jahr 2023 hat das jährliche Pachtentgelt je Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche bundesweit durchschnittlich 357 € betragen. Wie Destatis nach den Ergebnissen der Agrarstrukturerhebung 2023 mitteilt, entsprach dies einem Anstieg von 9 % gegenüber 2020 (329 €).

60 Prozent gepachtet

Die insgesamt rund 16,6 Mio. ha landwirtschaftlich genutzter Fläche in Deutschland setzten sich im Jahr 2023 zu 60 % aus Pachtflächen (9,9 Mio. ha), rund 38 % selbst bewirtschafteten Eigenflächen der landwirtschaftlichen Betriebe (6,4 Mio. ha) und knapp 2 % unentgeltlich zur Bewirtschaftung erhaltenen Flächen (276.800 ha) zusammen. Der überwiegende Teil der gepachteten Flächen war Ackerland (69 %), gefolgt von Dauergrünland (27 %) und sonstiger gepachteter Fläche (4 %). Unter Letzterem sind Flächen zu verstehen, für die keine klare Trennung zwischen Acker- und Dauergrünland angegeben werden konnte, sowie Reb- und Baumobstflächen oder Baumschul- und Gewächshausflächen. Bei den durchschnittlichen Pachtentgelten je Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche waren deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern zu verzeichnen: Während im Saarland ein durchschnittliches Entgelt von 99 € veranschlagt wurde, betrug das Pachtentgelt in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich 560 €. Neben Nordrhein-Westfalen lagen auch in Niedersachsen (548 €), Schleswig-Holstein (479 €) und Bayern (415 €) die Pachtentgelte deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 357 €/ha.

Viele Einzelunternehmen

Unterschiede gab es in der deutschen Landwirtschaft nicht nur bei den Pachtentgelten, sondern auch hinsichtlich der vorherrschenden Rechtsformen der Betriebe. Mit einem Anteil von 85 % stellten die 217.800 Einzelunternehmen die mit Abstand häufigste Rechtsform der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland dar. Davon wurden mehr als die Hälfte (55 %) im Nebenerwerb geführt. Mit einem Anteil von 12 % waren Personengemeinschaften und -gesellschaften (30.970 Betriebe) sowie mit einem Anteil von 2 % juristische Personen (6.240 Betriebe) als Rechtsform deutlich weniger verbreitet.

Dennoch bewirtschafteten Betriebe der Rechtsformen Personengemeinschaften und -gesellschaften sowie juristische Personen zusammen im Durchschnitt mit 176 ha landwirtschaftlich genutzter Fläche je Betrieb deutlich größere Flächen als Einzelunternehmen mit 46 ha je Betrieb. Dies führte dazu, dass Personengemeinschaften und -gesellschaften sowie juristische Personen zusammen ungefähr 39 % der landwirtschaftlich genutzten Flächen in Deutschland (6,5 Mio. ha) bewirtschafteten.

Der Geschäftsführer des Bundesverbandes der gemeinnützigen Landgesellschaften, Udo Hemmerling, wies darauf hin, dass ein funktionierender Pachtmarkt von großer Bedeutung für die Weiterentwicklung einer leistungsfähigen Agrarstruktur sei. Der Anstieg der Landpachten um durchschnittlich 9 % zwischen 2020 und 2023 spiegele die Ertrags- und Risikosituation der Landwirtschaft, aber auch die allgemeine Vermögenspreisinflation bei Immobilien angemessen wider. age, Destatis

Scholz lädt Agrarbranche zum Gespräch ein

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Auf Einladung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist die noch von seiner Vorgängerin Dr. Angela Merkel (CDU) eingesetzte Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) zum Austausch im Kanzleramt zusammengekommen. Die Vertreter von Agrar- und Ernährungsbranche, Natur-, Tier- und Verbraucherschützern, Handel und Wissenschaft trafen sich mit dem Kanzler. Präsentiert wurde ein Finanzierungsmodell zum Umbau der Tierhaltung.

In der Debatte über bessere Bedingungen für die Bauern will auch die Regierungskommission zur Zukunft der Landwirtschaft Vorschläge einbringen. Zum aktuellen Stand tauschten sich die Mitglieder mit Kanzler Olaf Scholz aus, wie das Gremium nach dem Treffen mitteilte. Vorbereitet würden aktuelle Empfehlungen zur Zukunft der Branche in schwierigen Zeiten, die von allen Mitgliedern getragen würden.

Neben dem Umbau der Tierhaltung solle es etwa um Bürokratieabbau, steuerliche Fragen und die künftige EU-Agrarfinanzierung gehen. „Die Zukunft der Landwirtschaft zu gestalten, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, erklärten die Agrarwissenschaftlerin Regina Birner und der Agrarökonom Achim Spiller als Sprecherteam der ZKL. Die Kommission stehe für den fairen Ausgleich von Interessen und scheue sich nicht, auch für heiße Eisen wie den Umbau der Tierhaltung und dessen Finanzierung im Konsens Lösungen zu erarbeiten.

Es gibt noch Knackpunkte

Allerding scheint das von der ZKL angestrebte Gesamtpaket mit konkreten Politikempfehlungen zur Zukunft der Landwirtschaft kein Selbstläufer zu werden. Sowohl der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Dr. Holger Hennies, als auch der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Olaf Bandt, sprachen am Donnerstag gegenüber Agrarmedien unabhängig voneinander von schwierigen Verhandlungen, die noch zu führen seien.

Für Hennies ist beispielsweise ein Einstieg in ein einfacheres Düngerecht unerlässlich, ebenso spürbare Entlastungen im steuerlichen Bereich und bei bürokratischen Auflagen. Bandt betonte die Notwendigkeit von konkreten Schritten, um den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Auch für die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) müsse es klare Signale geben. Zudem sei für den BUND zwingend notwendig, dass der gefundene Kompromiss für eine Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung über eine Anhebung der Mehrwertsteuer nicht infrage gestellt werde. Bandt und Hennies zeigten sich gleichwohl optimistisch, dass die ZKL einen Konsens finden werde. Ergebnisse seien für Anfang Mai zu erwarten.

Landwirtschaft entlasten

Der DBV-Vizepräsident zog ein positives Fazit der Gespräche mit Bundeskanzler Olaf Scholz und anschließend mit den stellvertretenden Vorsitzenden der Ampel-Fraktionen, Matthias Miersch (SPD), Julia Verlinden (Grüne) und Carina Konrad (FDP). Der Austausch sei insgesamt besser gelaufen als erwartet, räumte Holger Hennies ein.

Die Zukunftskommission Landwirtschaft habe deutlich machen können, „wo Handlungsbedarf und Nachbesserungspotenzial besteht, um die Rahmenbedingungen für die deutsche Landwirtschaft so zu gestalten, dass unsere Betriebe wettbewerbs- und zukunftsfähig sind“.

Entscheidend sei, „dass ein Gesamtpaket geschnürt wird, das der Komplexität unserer Branche gerecht wird“, so Hennies. Er geht nicht davon aus, dass die Koalition die ZKL-Empfehlungen zu 100 % werde umsetzen können. Entscheidend sei jedoch, „dass die Richtung stimmt“. Dies gelte nicht zuletzt für den dringend notwendigen Bürokratieabbau.

Tierhalter brauchen Klarheit

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) forderte die Politik zum Handeln auf. „Gerade für den Umbau der Tierhaltung brauchen die Bäuerinnen und Bauern endlich Klarheit in Form von langfristigen Verträgen und einer gesicherten Finanzierung“, erklärte AbL-Bundesgeschäftsführerin Xenia Brand. age, mbw


Vorschlag zur Tierwohlfinanzierung schlägt Wellen

Der Vorschlag einer Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) und der Borchert-Kommission, den Umbau der Tierhaltung langfristig über eine höhere Mehrwertsteuer auf tierische Produkte zu finanzieren, wurden bereits am Mittwoch im Vorfeld des Gesprächs mit dem Kanzler bekannt. Dies geschah offenbar entgegen der Vereinbarung, dass die Sprecher der ZKL sich öffentlich nicht äußern. Die frühzeitige Veröffentlichung des Vorschlags löste in Politik und Berufsstand unterschiedliche Reaktionen aus. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, zeigte kein Verständnis für anschließende Meldungen über steigendende Fleischpreise im Zuge des Umbaus der Tierhaltung. „Eine Mehrwertsteuererhöhung auf den Regelsatz oder einen Tierwohlcent lehnen wir ab“, betonte Rukwied am Mittwoch in Berlin. Das Geld für den Tierwohlumbau müsse aus dem Bundeshaushalt kommen. Zudem müsse zuerst sichergestellt werden, dass die notwendigen Beträge bei den Landwirten ankämen. Darüber hinaus seien Verträge mit einer Laufzeit von 20 Jahren eine zwingende Voraussetzung. age


Perspektiven für den Rapsmarkt 2024

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Die ungewöhnlich hohen Temperaturen der vergangenen Tage führten zu einem deutlichen Entwicklungsschub, was die zwei Wochen früher blühenden Rapsfelder zeigen. Damit haben sich die Aussichten für eine gute Ernte 2024 verbessert. Auch in preislicher Hinsicht haben sich die Perspektiven aufgehellt. Nachdem Raps an der Matif Ende Februar 2024 noch mit knapp unter 410 €/t gehandelt wurde, ist der Kurs jetzt Mitte April auf etwas über 450 €/t gestiegen. Kurstreibende Impulse kamen dabei insbesondere vom festen Rohöl, getrieben von der drohenden Eskalation in Nahost, was die Attraktivität von Raps als Rohstoff in der Biodieselherstellung steigert.

Auch die Kurse für andere pflanzliche Öle bewegen sich aufwärts, angeführt von festeren Notierungen für Palmöl an der malaysischen Börse. Dort erreichten die Kurse den höchsten Stand seit Anfang Januar 2023, bis zuletzt Gewinnmitnahmen den Anstieg bremsten. Insbesondere die kleineren malaysischen Palmölvorräte sorgten bis Anfang letzter Woche für Aufwind, denn die Produktion bleibt angesichts ungünstiger Vegetationsbedingungen hinter den ­Erwartungen zurück. Dem steht eine belebte Nachfrage gegenüber. Gebremst wird ein weiterer Anstieg durch rückläufige Sojaölnotierungen an der Börse in Chicago.

Rapsschrotimporte der EU

Die Verarbeitung von Raps zu Rapsschrot in der ­EU-27 kann den innergemeinschaftlichen Bedarf nicht vollständig decken, so importiert die Union diesen seit jeher aus Drittstaaten. In den ersten acht Monaten des laufenden Wirtschaftsjahres erhielt die EU-27 rund 681.500 t Rapsschrot und damit 95.600 t mehr als im Vorjahreszeitraum. Der Großteil der EU-Rapsschrotimporte fließt dabei nach Litauen und Spanien, aber auch Frankreich bezieht große Mengen. Mit 281.830 t – 41 % der Gesamteinfuhren – stammte der größte Teil der Importe aus Russland. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind die Einfuhren, dank des attraktiven Preisniveaus russischer Partien, um rund 11 % gestiegen. Auch aus Belarus kamen 208.200 t. Es nimmt damit Platz zwei der Herkunftsländer ein.

Prohibitive EU-Zölle auch für russische Rapsschrotlieferungen

Die Kommission schlägt (endlich!) Zölle von 95 €/t beziehungsweise 50 % des Warenwertes auf Importe von Getreide, Ölsaaten und daraus gewonnenen Erzeugnissen, also auch Rapsschrot, aus Russland und Belarus vor. Mit den Maßnahmen soll unter anderem „Russland daran gehindert werden, Einnahmen aus Ausfuhren in die EU – inklusive widerrechtlich angeeigneter ukrainischer Getreideerzeugnisse – dazu zu verwenden, seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu finanzieren. 2023 exportierte Russland solche Erzeugnisse im Wert von rund 1,3 Milliarden Euro in die EU. Das bedeutet, dass diese EU-Zölle eine weitere wichtige Einnahmenquelle der russischen Wirtschaft und damit auch der russischen Kriegsmaschinerie austrocknen werden“, so die Europäische Kommission in ihrer Pressemitteilung vom 22. März.

Für den Rapsmarkt bedeutet dies, dass mit dem Wegfall billiger russischer Importe voraussichtlich der Preis für Rapsschrot anziehen und damit auch Raps stabiler bewertet wird. Aus Kanada wird zudem im Jahr 2024 ein knapperes Rapsangebot erwartet. Das gesamte Ölsaaten­angebot in der laufenden Saison, welches durch die laufende Sojaernte in Südamerika vergrößert wird, dürfte den Anstieg jedoch dämpfen.

„Ostfriesland“ in Büdelsdorf

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Die schmiedeeiserne Teekanne „Ostfriesland“ aus 2017 von der Künstlerin Joana Vasconcelos ist 2,30 m hoch, bis zu 3,20 m breit und wiegt 380 kg. Mit Hilfe eines riesigen Wille-Krans wurde das Objekt aus dem portugiesischen Truck in den Innenhof des Eisenkunstguss Museums in Büdelsdorf gehoben. Die begehbare Teekanne ist die Visitenkarte der großen Vasconcelos-Ausstellung des Landesmuseums auf Schloss Gottorf, die vom 1. Mai bis 3. November 2024 auf der Museumsinsel in Schleswig gezeigt wird. Exakt solange ist auch „Ostfriesland“ im Eisenkunstguss Museum zu sehen und zu begehen.

Ausstellung im Wandel

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Bunter Schaum vor dem Lübecker Holstentor – das wollten sich am Sonntagnachmittag zahlreiche Besucher nicht entgehen lassen. Diese besondere Aktion der Künstlerin Stephanie Lüning fand in ähnlicher Form schon in Paris und London statt. Allerdings machte das norddeutsche Wetter dem Ganzen zunächst einen Strich durch die Rechnung.

Die Windböen waren zu stark, sodass die Gefahr bestand, dass der Schaum nicht auf dem Vorplatz des Tores verblieb, sondern sich über die Straßen und in die nahe liegende Trave verteilte. Für die Schaumaktion gab es strenge Auflagen seitens der Behörden, somit wurde die Vorführung auf Sonntagabend, 19 Uhr verschoben. Dann konnten diejenigen, die noch da waren oder wiederkamen, erleben, wie Schaummaschinen mit biologisch abbaubarem Spülmittel, vermischt mit Lebensmittelfarbe, für kurze Zeit das Wahrzeichen Lübecks und den Platz davor in bunte Schaumflocken tauchten.

Das Holstentor betrachtet durch bunten Schaum – vergängliche Kunst von Stephanie Lüning
Foto: Robert Vanis

„Ich verwende oft Rot, Blau und Gelb, also die Grundfarben, und mische daraus alle Farben des Regenbogens. Sie können der räumlichen, vergänglichen Malerei beim Werden und Vergehen zugucken“, erklärte zuvor die Künstlerin, die auch im zweiten Teil der Ausstellung „Hello Lübeck“ in der Kunsthalle St. Annen in Lübeck vertreten ist. Da lässt sie die Besucherinnen und Besucher am Kunstgeschehen teilhaben, unter anderem indem sie zuvor gefärbtes Wasser zu Eiswürfeln gefrieren lässt, die die Besuchenden dann auf eine Leinwand legen können. Durch das Schmelzen des Eises geht die Farbe in das Textil über und zaubert einzigartige Batikmuster.

Eine Treppe voller Glückskekse des Künstlerduos Famed
Foto: Iris Jaeger

Eine Treppe voller Glückskekse, bei denen man zugreifen darf, Demokratie, Verschwörungstheorie, Ideologie oder Korruption als Parfüm, eine Lichtinstallation, die man per Klavier zu einer blinkenden Lichtchoreografie erwecken kann, ein Raum, in dem man Boden und Wände bemalen darf, Bilderteile verteilt im Museum, die sich wie ein Puzzle zusammensetzen lassen – das und noch vieles mehr zeichnet die aktuelle Ausstellung aus, die mit diesen partizipativen und interaktiven Kunstwerken noch stärker die Neuausrichtung der Lübecker Kunsthalle St. Annen mit Leiterin Noura Dirani als Ort des lebendigen Austauschs und des offenen gesellschaftlichen Dialogs unterstreichen möchte. Anfang Dezember 2023 startete der erste Teil von „Hello Lübeck“ mit dem Untertitel „Dialoge mit der Kunsthalle St. Annen“, vergangene Woche wurde dann der zweite Teil mit dem Untertitel „Eine Ausstellung im Wandel“ eröffnet. Die mit der Ausstellung konzipierte Kinder-Kunsthalle wird künftig fester Bestandteil der Einrichtung. Kurzweiliges Kunsterleben mit allen Sinnen, ergänzt um ein umfangreiches Begleitprogramm mit Workshops, Rundgängen und Aktionen – alle Informationen dazu unter ­kunsthalle-st-annen.de

„Enlightenment Machine“ von Betty Rieckmann
Fotos: Iris Jaeger
„The Beach“ von Andreas Angelidakis; 68 Sitzmodule aus Schaumstoff und Vinyl lassen sich zu einer Vielzahl unterschiedlicher Formationen kombinieren und laden im Foyer zum sitzen, stehen, klettern oder relaxen ein.
Ahmet Öğüts Installation „Jump-Up!“ lädt Besuchende ein, die ausgestellten Objekte auf Trampolinen springend zu betrachten
Blick in die Ausstellung
„Smell Maneuver“ – Performative Arbeit von Christian Jankowski
Die Parfümeure Gustavo Moscoso und Xavier Zamora H. komponierten 18 verschiedene Gerüche zu Begriffen mit Verweis auf die multiplen und geopolitischen Krisen unserer Zeit. So darf man ebenso an der Demokratie schnuppern wie auch an Verschwörungstheorie und Polarisation …
It is what it is“ ist eine Einladung des Künstlers Benjamin Butter, den gesamten Raum bunt zu bemalen. Der eigenen Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
Installation „Hoffnung“ von Stephanie Lüning in der Kinder-Kunsthalle
Kunstwerk aus Eiswürfeln
Hoffnung
Eines der Eiswürfel-Kunstwerke von Stephanie Lüning
Ein Kunstwerk im Kunstwerk
Alle Glückskekse enthalten die gleiche Botschaft: „The way to success is open“ – Der Weg zum Erfolg ist geebnet
Nezaket Ekici lädt die Besuchenden ein, Fragmente ihres Bildes im Museum zu suchen und dann zusammenzusetzen. Das Motiv „Stillleben mit Mops und Hähnen“ ist von Wilhelm Grimm.
Knetfiguren wurden zu Skulpturen in Christian Jankowskis „Geknetete Stadt“
Bunter Schaum vor dem Holstentor.
Foto: Robert Vanis


Dittchenbühne Elmshorn

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Im September ist Premiere: Dann möchte das Amatheurtheater Dittchenbühne in Elmshorn mit Hans Falladas „Bauern, Bonzen und Bomben“ das historische Schauspiel über die schleswig-holsteinische Landvolkbewegung aufführen. Aktuell wird dafür ein männlicher Darsteller als gestandener Bauernanführer gesucht. Doch was ist die Dittchenbühne und was hat es mit dem Forum Baltikum auf sich? Das Bauernblatt war zu Besuch in Elmshorn.

Bei der Dittchenbühne handelt es sich um einen Gebäudekomplex, der nicht nur das Theater beinhaltet, sondern auch ein Mehrgenerationenhaus mit Kindergarten sowie das Stadtteilzentrum Fuchsberg. „Mehr als 40 Jahre leisten wir hier Kulturarbeit“, erklärt der Vorsitzende des Vereins Forum Baltikum – Dittchenbühne, Raimar Neufeldt.

Begonnen hat alles im Jahr 1977 mit einem Treffen von Pädagogen und Sozialpädagogen. „Alle waren ostpreußischer Herkunft, hatten einen Vertreibungshintergrund“, so Neufeldt. Das anfängliche Laienspiel begann zu wachsen und war gefragt. „Wir waren überall unterwegs, haben gespielt, gespielt, gespielt, bis klar wurde, dass wir einen eigenen Raum brauchten“, erinnert sich der Vorsitzende. Zunächst waren sie in der Bismarckschule untergebracht, später in der Koppeldammschule, bis ihnen die Räumlichkeiten gekündigt wurden. Es folgten der Kauf eines Grundstücks und der Umbau einer Scheune auf Voßkuhlen zum Theater, „und das alles ohne öffentliche Zuschüsse“, betont Neufeldt.

Blick auf die Bühne mit Requisiten aus der Aufführung „Der Zauberer Gottes“
Foto: Iris Jaeger

1982 gründete sich der Verein Dittchenbühne, der 2006 in Forum Baltikum – Dittchenbühne umbenannt wurde. „Wir haben im Auftrag des Bundes die Hilfen für deutsche Minderheiten im Baltikum und in Nordwestrussland koordiniert.“ 1988 folgten erste Theateraufführungen in Masuren, 1989 begann eine Theaterpartnerschaft mit dem Dramatischen Theater Klaipeda und dem Dramatischen Theater Kaliningrad/Königsberg. Zu den Aufgaben und Zielsetzungen des Vereins gehörten die Förderung der interkulturellen Zusammenarbeit, insbesondere mit den Ostseeanrainerstaaten, innerhalb der Metropolregion Hamburg, im Kreis Pinneberg und in der Stadt Elmshorn, sowie die Pflege und Weiterentwicklung des Kulturgutes der ehemals deutschen Ostgebiete. Mittlerweile habe sich diese Ostarbeit, auch bedingt durch den Ukraine-Krieg, mehr oder weniger erledigt, so Neufeldt. Mitgebrachte Andenken, Kunsthandwerk und historische Artefakte aus dem ehemaligen Ostpreußen und Litauen erinnern an die Zusammenarbeit und die Reisen dorthin. Nach dem Umbau der Scheune erfolgte auf dem Gelände der ehemaligen Gärtnerei über die Jahre mit viel Eigenleistung der Aus- und Weiterbau zu dem heutigen Gebäudekomplex, der über die Stadtgrenzen Elmshorns hinaus als feste Kultureinrichtung mit Veranstaltungen, Workshops, Bildungsreisen, Festen, Vorträgen und vielem mehr für Jung und Alt bekannt ist.

Mit 28 Aufführungen und rund 3.600 Besuchern im vergangenen Jahr zählt die Dittchenbühne zum größten Kindertheater-Anbieter im südlichen Schleswig-Holstein.
Foto: Dittchenbühne

Ebenso bekannt ist das gleichfalls neugebaute Theater, samt Theaterbüro, Gruppenräumen, Nähstube und Werkstatt, das mit modernster Theatertechnik ausgestattet ist und 135 Besuchern Platz bietet. Aufgeführt werden anspruchsvolle klassische Stücke, oft mit regionalem Bezug wie in dem für September geplanten „Bauern, Bonzen und Bomben“. Raimar Neufeldt führt Regie und kann auf mehr als 50 erwachsene Amateurdarsteller zurückgreifen, beim Kindertheater sind es sogar noch mehr. In den gut 40 Jahren Theater haben sich zudem reichlich Requisiten und Kostüme angesammelt, auf die zurückgegriffen werden kann und die bei Bedarf geändert und angepasst werden können. Dafür sowie für das Nähen neuer Kostüme stehen zwei Schneiderinnen zur Verfügung, davon eine ehrenamtlich. Unterstützung erfolgt auch durch einen Bühnenmeister sowie viele weitere, überwiegend ehrenamtlich helfende Hände bei mindestens drei Inszenierungen pro Jahr. Bekannt ist die Dittchenbühne auch für das Kindertheater mit dem Aufführen klassischer Märchen zu Weihnachten, das jährlich mehrere Tausend Besucher anlockt. Doch wie in jedem Verein kämpft auch Raimar Neufeldt zusammen mit seinen Mitstreitern zunehmend mit immer mehr werdenden bürokratischen Auflagen und Hürden, steigenden Kosten und Ausgaben bei stagnierenden Besucherzahlen. „Aktuell sind wir dabei, die gesamte Arbeit der Dittchenbühne auf den Prüfstand zu stellen und sie neu auszurichten, um für die Zukunft gut aufgestellt zu sein“, so Neufeldt.

Ausführliche Informationen zum Haus, zum Theater und zu allen weiteren Bereichen sowie zum Programm unter ­dittchenbuehne.de

Info

Dittchen – ostpreußich für Groschen –, ist eine Bezeichnung, die zusätzlich in Polen bekannt war. Es gibt auch Hinweise auf flämische Herkunft. In Ostpreußen hat sich die Bezeichnung bis zur Vertreibung 1945 als mundartliche Bezeichnung für zehn Pfennige erhalten. Im Mittelalter gab es eine entsprechende Münze, ein silbernes Dittchen. Der Name wurde für den Verein gewählt, weil das Tourneegebiet so weit geht, wie diese mittelalterliche Münze gültig war, von Flandern bis nach Nowgorod.

Vörleeswettstriet „Schölers leest Platt“

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Seit 1979 führt der Schleswig-Holsteinische Heimatbund alle zwei Jahre den landesweiten Vorlesewettbewerb „Schölers leest Platt“ durch. Dabei geht es darum, Kinder, Eltern und Schulen für die Regionalsprache Plattdeutsch zu sensibilisieren und ein bedeutsames Stück schleswig-holsteinischer Kultur zu vermitteln. Landwirtssohn Jesse Muhs aus Stakendorf im Kreis Plön nahm in diesem Jahr erstmals daran teil. Unterstützung erhielt der Elfjährige von Oma Elke, die fleißig mit ihm büffelte.

„Von Harten willkommen in Stokendörp“, begrüßt die 450-Seelengemeinde am östlichen Rand der Probstei ihre Gäste. Die Dorfbewohner fühlen sich augenscheinlich dem Plattdeutschen verbunden. Dafür, dass dies selbst für die Jüngsten gilt, ist Jesse der beste Beweis. Seit Herbst 2023 lernt der Fünftklässler an der Gemeinschaftsschule Probstei (GSP) in Schönberg Platt, besser gesagt „Niederdeutsch“, denn als „Wahlpflichtfach Niederdeutsch“ wurde die Teilnahme an der Plattdeutsch-AG in seinem Zeugnis vermerkt.

Seit fast drei Jahren ist die GSP eine von derzeit 51 vom Bildungsministerium zertifizierten Modellschulen für Niederdeutsch. Die Lehrerinnen Susanne Wieckhorst und Sünje Lauer betreuen die wöchentlich stattfindende freiwillige AG für Schüler des 5. und 6. Jahrgangs. „Ich meldete mich dafür an, weil meine Oma Plattdeutsch spricht und Freunde von mir auch dahingingen“, begründet Jesse seine Motivation zur Teilnahme. Als die Lehrkräfte ihn nach einigen Wochen fragten, ob er Lust hätte, bei „Schölers leest Platt“ mitzumachen, fackelte er nicht lang und sagte zu.

Schulinterner Sieger

Als Erstes musste er in einem internen Schulentscheid überzeugen. Danach sollte als nächster Schritt der Landschaftsentscheid folgen. Doch von vorn. Zunächst bekam seine Schule vom Heimatbund Hefte mit einer Textsammlung altersgerechter, kleiner plattdeutscher Geschichten für die Schuljahre 5 bis 7 zur Verfügung gestellt. Diese gaben die Lehrerinnen an die sechs zum Wettbewerb angemeldeten Schüler weiter. Welchen Text sie daraus vorlesen wollten, war den Kindern freigestellt. „Ich nahm gleich den ersten im Heft. Er hieß ‚De Aadler in’n Höhner­stall‘. Da geht es um einen Bauern, der auf dem Feld einen jungen Adler mit einem kranken Flügel findet“, erzählt Jesse. „Die Geschichte passte thematisch gut zu unserem eigenen Leben auf dem Bauernhof“, wirft Altenteilerin Elke Muhs lächelnd ein. Etwa eine Woche blieb Jesse Zeit zum Üben. „Da Mama und Papa kein Platt können, aber Oma, fragte ich sie, ob sie mir beim Einüben des Textes helfen könnte. Sie gab mir viele gute Tipps. Wir haben mehrere Male die Geschichte gelesen, schön mit Betonung, damit Spannung reinkam.“

Plattsnackerin Elke Muhs unterstützte ihren Enkel Jesse beim Vorlesewettbewerb nach Kräften.

Super vorbereitet startete Jesse schließlich am Freitag, 19. Januar, in den Wettbewerb. Er war etwas aufgeregt, trug seinen Text aber selbstbewusst und flüssig der Jury vor. Diese bestand aus den Lehrerinnen der Plattdeutsch-AG und drei Schülerinnen, die vor zwei Jahren selbst als Vorleserinnen am Wettbewerb teilgenommen hatten. Ihre Beurteilungskriterien waren Lesefertigkeit, Ausdruck und Aussprache. Mimik und Gestik spielten keine Rolle. Die Juroren waren gleichfalls aufgefordert, die regionale Mundart zu beachten und die mundartlich gefärbte Wiedergabe der Texte wertzuschätzen. Jesse überzeugte mit einem tollen Lesevortrag und wurde einstimmig zum besten plattdeutschen Vorleser der Schule gekürt. Mit diesem Schulsieg war für ihn der Weg zum Landschaftsentscheid frei, bei dem sich die Sieger der Schulen in der Umgebung untereinander messen.

Ein Stück Heimat

Jetzt hieß es also noch einmal: büffeln mit Oma. Von Kindesbeinen an spricht die 83-Jährige Platt. „Es ist für mich ein Stück Heimat. Meine ganze Generation ist noch mit Platt groß geworden. Wir sprachen es untereinander. Mit plattdeutschen Leuten muss man Plattdeutsch sprechen, das geht ganz automatisch“, erklärt sie. In ihrer Kindheit sei in der Schule allerdings Hochdeutsch die offizielle Sprache gewesen. „Platt gab’s nur in der Pause. Es hatte ein ziemlich dörfliches Image.“

So kam es später auch, dass sie und ihr Mann zwar untereinander Platt snackten, es an die drei Kinder aber nicht weitergaben. „Mit ihnen und dem Hund sprachen wir Hochdeutsch“, verrät sie schmunzelnd. Deshalb freue sie sich heute umso mehr, ihrem Enkel die heimelige Sprache näherzubringen. Überhaupt: Enkel und Oma seien auch sonst ein prima Team, unterstützten sich gegenseitig und unternähmen viel zusammen. „Jesse geht leidenschaftlich gern mit mir shoppen. Dann läuft er zur Höchstform auf“, meint Elke Muhs und wirft ihm einen liebevollen Blick zu.

Jesse lebt mit seinen Eltern Katrin und Marten, Bruder Joah und Oma Elke auf einem Ackerbaubetrieb und Ferienhof, der seit 1855 in Familienbesitz ist.

Klar, dass sie Jesse am 20. Februar zum Landschaftsentscheid begleitete, denn er durfte einen „Fanclub“ mitbringen, der ihn unterstützte, fest die Daumen drückte und mitfieberte. „Neben Oma kamen Mama, Papa und mein Opa mit“, zählt Jesse auf. In der Eutiner Landesbibliothek traf er auf drei Mitstreiter benachbarter Schulen und auf eine vierköpfige Jury. Diese setzte sich aus Heinrich Evers, dem Plattdeutschbeauftragten des Kreises Ostholstein, Anne Vehres von der Niederdeutschen Bühne Süsel sowie den Platt-Profis Bärbel Bierend und Helga Zettier zusammen.

Das lesefreudige Schülerquartett schaffte es, die Juroren auf Anhieb zu überzeugen. Bei der anschließenden Bewertung fiel der Punkteabstand zwischen den Kindern äußerst knapp aus. „Es gab sogar zwei Sieger mit gleicher Punktzahl. Ich landete auf dem dritten Platz“, informiert Jesse über den Ausgang. Mit einer Siegerurkunde, einem Buchpreis und einem Gutschein ging es für ihn anschließend wieder nach Hause. Die beiden Sieger des Landschaftsentscheids und alle anderen Halbfinalisten werden im April und Mai am Regionalentscheid in ausgewählten Theatern teilnehmen. Die dortigen Gewinner qualifizieren sich für das Landesfinale und den Showdown am 5. Juni in der Niederdeutschen Bühne in Neumünster.

Auf dem Ferienhof der Familie spielt Jesse gern mit Freunden und Feriengästen auf der Strohburg.

Stolze Oma

Auch wenn für Jesse nach dem Landschaftsentscheid die Reise nicht weiterging, sind seine Eltern und besonders Oma Elke sehr stolz auf ihn. „Ich finde es wunderbar, dass Jesse am Wettbewerb teilnahm und sich traute, vor einem großen Publikum Platt zu lesen“, lobt sie.

Mittlerweile kann er schon fast alles verstehen, wat sien Oma op Plattdüütsch vertellt. „Sprechen kann ich es noch nicht, lesen klappt besser“, gesteht er. Manchmal rutschten ihm beim Reden aber schon einzelne Wörter op Platt heraus. Ob Jesse Lust hätte, spontan eine Kostprobe seiner Lesekünste zu geben? Er nickt, greift zum bereitliegenden Wettbewerbstext und beginnt: „Do leev mal en Buer, de funn op dat Feld en jungen Aadler, de harr en lahmen Flünk. De Buer nehm den Aadler mit op den Hoff un sparr em in sien ­Höhnerstall bi de annern Höhner …“

Jesse und Hofhund Oskar
Fotos: Silke Bromm-Krieger

Jedes Wort sitzt, die Betonung ist auf den Punkt, und alles klingt so fröhlich, verschmitzt und gemütlich, wie es auf Platt eben der Fall ist. Ob er noch einmal beim Vorlesewettbewerb antreten wird? Jesse überlegt kurz und antwortet: „Mal sehen. Das weiß ich noch nicht.“ Er habe neben der Schule schließlich sooo viele andere Interessen, Hobbys und Aufgaben. „Ich bin Mitglied bei der Jugendfeuerwehr in unserem Dorf und singe in der ‚Jungen Kantorei‘ in Schönberg. Auch beschäftige ich mich mit Zauberei und lese gern Fantasy-Romane wie Harry Potter. Manchmal helfe ich auf dem Hof und im Haushalt.“ Bannig veel to doon, de Jung.

Info

Über 200 allgemeinbildende Schulen nahmen 2023/2024 beim landesweiten Vorlesewettbewerb „Schölers leest Platt“ teil. Angesprochen waren Schüler der 3. bis 4., der 5. bis 7. sowie der 8. bis 10. Klasse. Aktuell stehen einige Regionalentscheide und das Landesfinale noch aus. Gefördert von den Sparkassen und mit Unterstützung des Büchereivereins Schleswig-Holstein, führt der Schleswig-Holsteinische Heimatbund in Zusammenarbeit mit mehreren Kooperationspartnern diesen Wettbewerb durch. 2023/2024 findet er bereits zum 22. Mal statt. Schirmherrin ist Landesbildungsministerin Karin Prien (CDU). Weitere Infos unter ­heimatbund.de

„Algorithmus ist eine Bitch“

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Das Smartphone und die Nutzung digitaler Medien sind aus dem Alltag kaum noch wegzudenken. Auch wenn es nach einer aktuellen Mitteilung des Statistischen Bundesamts im vergangenen Jahr gut 5 % (entspricht rund 3,1 Millionen Menschen) unter den 16- bis 74-Jährigen gab, die noch nie online waren: Die meisten nutzen ihr Handy für den Online-Einkauf, für Terminabsprachen und als Kommunikationsmittel, um sich zu informieren oder über Social Media zu netzwerken. Oder betreiben damit ihr Business, um als Influencer, Blogger oder Podcaster Geld mit Instagram & Co. zu verdienen.

Wie aber wirken die digitalen Welten auf das künstlerische Schaffen und wie beeinflusst Kunst wiederum die Sozialen Medien? Mit der Initiative und Ausstellung „Insta me, Baby“ lädt Ingrid Roosen-Trinks, Sammlerin und Gründerin des Vereins „Kunst für Angeln“, Menschen aller Generationen dazu ein, ihre Kreativität in Bezug auf die digitale Welt und Soziale Medien zu erforschen sowie den Dialog in einem grenz- und generationenübergreifenden Kontext zu eröffnen.

Ingrid Roosen-Trinks mit Künstler Stephen Craig

Zusammen mit der Kunstschule Sønderjylland im dänischen Sønderburg finden im Rahmen der Ausstellung verschiedene Veranstaltungen und Workshops statt, die sich unter anderem mit der Frage beschäftigen, wie Kunst heute ästhetisch gestaltet sein muss, um auf Instagram zu funktionieren. Dazu erforschen Teilnehmende in Zusammenarbeit mit deutschen und dänischen Künstlerinnen und Künstlern in zwei Workshops, einer auf dänischer, einer auf schleswig-holsteinischer Seite, die Wirkung von Kunst in Sozialen Netzwerken wie beispielsweise Instagram.

Start und Eröffnung war am vergangenen Sonntag mit einem Open House auf dem Wittkielhof in Wittkiel bei Kappeln, wo auch die Ausstellung mit kreativen Ergebnissen aus den Workshops bis zur Finissage am 5. Mai besichtigt werden kann. Auch für Kunstschaffende und Kreative sind Internet und die Sozialen Medien als Plattformen zu einem unverzichtbaren Werkzeug geworden, um Ausstellungen zu bewerben oder ihre Sichtbarkeit zu steigern. „Instagram bietet der jungen Kreativszene die Möglichkeit, ihre Werke außerhalb traditioneller Galerien bekannt zu machen“, erklärte Ingrid Roosen-Trinks dem Publikum bei einer Talkrunde im Rahmen der Ausstellungseröffnung.

Das Bild von Gerd G. M. Brockmann trifft das Thema der Ausstellung.

Doch inwiefern beeinflussen Instagram & Co. die künstlerische Arbeit? „Ich sehe das ambivalent. Es ist Fluch und Segen zugleich“, meinte dazu die Künstlerin Chili Seitz. Natürlich könne man seine Arbeiten schnell publik machen, „aber die Tiefe einer Arbeit ist durch schnelles Scrollen nicht erfahrbar, die Tiefe eines Kunstwerkes ist für Instagram nicht erreichbar. Das sieht man in dieser Ausstellung: Wenn man direkt vor den Arbeiten steht, den Pinselstrich oder die Farbkombination sieht, dann gibt es einem etwas zurück. Das ist in echt viel besser erlebbar als in den Sozialen Medien“, so Seitz.

Für sie sei Instagram wie eine News-Funktion auf einer Webseite, bei der man schnell in Kommunikation treten, Kontakt halten und sich über Aktuelles informieren könne. Aber natürlich falle auch sie der Versuchung anheim, nach einem Post nachzuschauen, wie viele Likes sie erhalten habe.

Die jüngere Generation arbeite mit dem Medium anders und so, dass sie es für sich nutzen könne. „Das gilt aber nicht für jede Kunst und egal, wie viel man von seinen Arbeiten hochlädt: Der Algorithmus ist eine Bitch, er entscheidet letztlich, was im Netz zu sehen ist und was nicht“, so Seitz.

Künstlerin Chili Seitz vor einer ihrer Arbeiten

Für Künstler-Autodidakt Henrik Becker dient Instagram ebenfalls als eine gute Möglichkeit, schnell viele Leute zu erreichen und Veranstaltungen zu bewerben. Ihm gefalle aber auch der Ansatz, dass Kunst am schönsten ist, wenn man davorsteht. Und doch sei die Versuchung groß, sich schnell über Instagramm oder andere Netzwerke Bestätigung in Form von Likes zu holen, obwohl man wisse, dass man sich auf diese Weise nicht mit anderen vergleichen sollte und es als Belohnungssystem nicht tauge.

„Das ist das Neue an diesen Medien, man erhält schnell direkt Response. Das kann ein Suchtfaktor sein, denn kurzfristige Konsequenzen steuern unser Verhalten“, so Dr. med. Frank Helmig, Chefarzt und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an den Ameos Kliniken in Preetz und Kiel bei der Talkrunde. Wie bei allen Verhaltenssüchten sei die flexible Kontrolle das Ziel, also positive Aspekte von digitalen Medien zeitlich begrenzt gezielt zu nutzen, gleichzeitig aber auch Erholungsphasen ohne Onlinezugang einzubauen. „Somit können die Sozialen Medien ein positives Begleitmedium für Kunstschaffende sein, Instagram als Lockmittel, Einladung und Neugierigmacher“, fasste Ingrid Roosen-Trinks zusammen.

Henrik Becker (r.) mit Besuchern vor seiner Ausstellungswand

Und auch die Besucherinnen und Besucher sowie die Teilnehmenden an den Veranstaltungen sind dazu eingeladen, kritisch über den Einfluss der digitalen Welt auf die Kunst und das soziale Miteinander nachzudenken. Geführte Rundgänge durch die Ausstellung sind gratis per Anmeldung unter visit@kunstfuerangeln.de möglich.

Weitere Informationen unter ­kunstfuerangeln.de

Gesprächsrunde zum Thema Einfluss von Sozialen Medien im Alltag und auf die Arbeit von Kunstschaffenden mit Initiatorin und Sammlerin Ingrid Roosen-Trinks, den Künstlern Chili Seitz, Thomas Luna und Henrik Becker sowie Dr. med. Frank Helmig, Chefarzt und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an den Ameos Kliniken in Preetz und Kiel, Dr. Hauke Staats, Chefarzt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie „Villa Paletti“ in Flensburg.
Fotos: Iris Jaeger
Moving Sculpture Art by Chili Seitz – entstanden bei einem Workshop in der Kunstschule Sonderburg
Großformatiges Werk von der Künstlerin Nejla Yilmaztürk
„Die Bande“ von Nele Engler
Ebenfalls von Nele Engler
Martin Askholm „Monkey Business“
Werk von Sofie Bird Møller
„Cumulus Cloud“ von Martin Askholm


Absolute oder relative Bedürfnisse bedienen?

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Landwirtschaft ist lebenswichtig: ohne Nahrungsmittel kein Leben. Doch kann sich die Landwirtschaft immer weniger von diesem Existenzrecht kaufen. Seit 1950 stieg der Nettostundenverdienst eines Industriearbeiters um das 24-Fache an, die Brotpreise nur um den Faktor zwölf. Wären die Weizenpreise nur mit der Inflationsrate gestiegen, würden Ackerbauern für einen Doppelzentner 95 € erlösen. Der Erzeugeranteil an den Verbraucherausgaben für Brot liegt nur noch bei 5 %. Ähnlich sieht es für andere Lebensmittel aus.

Den Differenzbetrag begründen Hersteller und Händler mit dem Zusatznutzen: Zubereitung, Einkaufserlebnis, Geschmack, Regionalität, CO2-Fußabdruck, Bio, Tierwohl, Veganismus, Nahrungsergänzung und so weiter. Während die Urproduktion sich auf das absolute Bedürfnis des Menschen konzentriert – Motto: „Gegessen wird immer!“ –, gehen die nachfolgenden Stufen auf das relative Bedürfnis ein – „Darf‘s noch ‘was sein?“. Mit Erfolg, denn der Geldwert unserer Lebensmittel bemisst sich an Merkmalen, die nicht lebenswichtig, aber in einer Wohlstandsgesellschaft dennoch begehrenswert sind.

Der amerikanische Psychologe Abraham Maslow hielt sich mehrere Wochen bei Blackfoot-Indianern auf. Das beeinflusste die nach ihm benannte Bedürfnispyramide, die menschliche Ansprüche rangiert. Maslow schuf fünf Kategorien: Grundbedürfnisse, Sicherheit, soziale Bedürfnisse, Individualbedürfnisse, Selbstverwirklichung. Ernährung ordnet sich ganz unten ein, neben Atmung, Wasser, Schlaf und Fortpflanzung. Das ist ehrenwert, aber immer weniger ertragreich. Maslow nimmt eine weitere Unterteilung in Mangelbedürfnisse (Stufen 1 bis 3) und Wachstumsbedürfnisse vor. Nur solange ein Bedürfnis nicht befriedigt ist, beeinflusst es unser Handeln. Das ist ein Grund für die geringe Wertschätzung der Agrarerzeugnisse: Mehr als satt geht nicht. Allein Wachstumsbedürfnisse werden nie voll befriedigt.

Lässt sich daraus ein Mehrwert erzeugen? Es lässt! So positioniert sich der Veganismus auf der obersten Stufe der Pyramide, und manch einer blickt von dort auf die Landwirte herab. Doch gibt es viele Erzeugnisse, die auf Individualität und Selbstverwirklichung abzielen. „Ich will so bleiben, wie ich bin: Du darfst“ war ein Slogan aus den 1970er Jahren für fett- und zuckerreduzierte Nahrungsmittel mit fetten Margen. „Du bist, was du isst“, erklärte Gesundheitspsychologin Gudrun Sproesser auf der Biofach 2012. Die Motive sind unterschiedlich und reichen vom Wunsch nach mehr Umweltschutz bis zur Selbstdarstellung.

Ganz oben thront das Ich. Wer diese Stufe bedienen will, muss sich fragen: Was hat das Ich davon, dass es mich gibt? Doch Vorsicht: Das Geschäft mit dem Ich kann nach hinten losgehen! Light-Produkte können dick machen. Vegane Produkte sind hochverarbeitet. Bio ist teuer. Solidarische Landwirtschaft macht Arbeit. Und in wirtschaftlich schwierigen Zeiten fällt manch einer die Stufen auch wieder hinab.

Auch mit relativen Bedürfnissen lässt sich in einer Wohlstandsgesellschaft Geld verdienen, nicht nur mit absoluten. Das kann das Strohschwein sein, das klimaneutrale Ei, Käse mit Blütenrand, heimisches Soja. Es sind, dem Individualismus der Kunden entsprechend, viele Nischen. Wir sollten sie alle füllen. Aber: Die relative Wertschöpfung kann die absolute wohl ergänzen, sie wird sie nicht ersetzen.