Im Daueraufstand

In den Niederlanden halten die Proteste gegen Stickstoffvorgaben der Regierung an
Von Mechthilde Becker-Weigel
Protestierende Landwirte am Freitag voriger Woche vor einem Verteilzentrum des holländischen Discounters Albert Heijn in Utrecht. Foto: Imago

Niederländische Landwirte protestierten seit Mitte Juni im ganzen Land gegen die von der Regierung geplante Stick­stoffverordnung. Dabei kam es auch zu Ausschreitungen (s. Ausgabe 27). An diesem Wochenende gab es Solidaritätsbekundungen und Unterstützung von deutscher Seite. Landesweit fuhren Bauern auf Brücken, um über Autobahnen und viel befahrenen Straßen auf das Thema aufmerksam zu machen. Für den niederländischen Verfassungsrechtler Prof. Paul Bovend‘Eert ist die Vorgehensweise der Regierung nicht rechtmäßig.

Der Protest gegen die geplanten Stickstoffregelungen in den Niederlanden wird auch in Schleswig-Holstein sichtbar. Am Sonnabend haben sich zahlreiche Landwirte mit ihren Berufskollegen solidarisiert. Ein Korso aus über 100 Treckern fuhr immer wieder über die Hochbrücke von Brunsbüttel.

In einem Statement der Tuin­bouw Organisatie Nederland (LTO), der Niederländischen Landwirtschafts- und Gartenbauorganisation heißt es, die Landwirte seien zutiefst besorgt und verärgert über die von der Regierung vorgelegte Stickstoffpolitik. Insgesamt sollen im Jahr 2030 50 % Reduktion erreicht werden. Teilweise liegen die Reduktionsziele zwischen 70 und 95 %. In diesen Gebieten werde künftig keine Landwirtschaft mehr möglich sein. Auch Biobauern können dort nicht mehr wirtschaften. Für den Umbau der Landwirtschaft und die damit verbundene Stickstoffreduzierung stehen 24,3 Mrd. € zur Verfügung. Sie sollen für mehr Nachhaltigkeit, Umsiedlung von Stallungen und Stilllegungen eingesetzt werden. Die einzelnen Provinzregierungen müssen Vorschläge für die Umsetzung der Reduktionsziele erarbeiten.

Kritisiert wird, dass die Regierung keine Lösungen, sondern nur Reduktionsziele vorgelegt habe und dass es bislang keine Folgenabschätzung gebe. Die LTO warnt vor negativen Folgen für den gesamten ländlichen Raum. Die Regierung konzentriere sich zu sehr auf die Reduzierung des Viehbestands.

Zur Stickstoffpolitik der Regierung äußerte auch der niederländische Verfassungsrechtler Prof. Paul Bovend‘Eert in einem Kommentar in der niederländischen Tageszeitung NRC Handelsblad seine Bedenken. Der Rechtswissenschaftler von der Radboud-Universität ­Nijmegen argumentiert, dass die Politik eine Gesetzesänderung vorwegnehme, die noch nicht im Parlament beschlossen sei. Das aktuelle Naturschutzgesetz besage, dass die Stickstoffwerte bis spätestens 2035 reduziert werden müssten. Die Parlamentsparteien Forward VVD, D66, CDA und ChristenUnie hätten hingegen vereinbart, dieses Ziel um fünf Jahre, also bis 2030, vorzuziehen. Mittlerweile erwartet das Kabinett von den einzelnen Provinzen Umsetzung. Allerdings bestehe für die Entscheidungen, die jetzt getroffen werden sollen, keine gesetzliche Grundlage, so Bovend‘Eert. 

Klaus-Peter Lucht. Foto: rq

Klaus-Peter Lucht, erster Vizepräsident des Bauernverbandes Schleswig-Holstein: „Die protestierenden niederländischen Bauern bangen um ihre Existenz. Insofern haben sie unsere volle Solidarität, denn auch hier im Lande sehen viele Betriebe sorgenvoll in die Zukunft. Auch wenn die Situation in den Niederlanden nicht vollends mit der in unserem Land vergleichbar ist, so lasteten doch die jüngsten Entscheidungen und Ankündigungen aus Berlin und Brüssel schwer auf den Schultern der Berufskolleginnen und -kollegen, so zum Beispiel die Ausweitung nitratbelasteter Gebiete und die Kälbertransportzeiten oder der zukünftige Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und die beabsichtigte Ausweitung der Industrieemissionsrichtlinie.“

Dietrich Pritschau. Foto: rq

Dietrich Pritschau, zweiter Vizepräsident des Bauernverbandes Schleswig-Holstein: „Der beschlossene Umbau der Tierhaltung wird durch die Uneinigkeit in der Ampelkoalition in Berlin verhindert und führt zu weiterem Unmut bei den Tierhaltern. Gewalt, Blockaden und Nötigung als Protestform lehnen wir hingegen ab. Wir kämpfen aber seitens des Bauernverbandes Schleswig-Holstein weiter hartnäckig für die Anliegen der Mitglieder und für neue wirtschaftliche Perspektiven.“


Das regt die Bauern auf

Die Pläne der niederländischen Regierung zur Emissionsminderung sehen nach der Einführung der sogenannten Phosphatquote im Jahr 2018 nun die Reduzierung der Stickstoffemissionen vor, besonders in den Naturschutzgebieten.

Nach dem Willen der niederländischen Regierung sollen diese allgemein um bis zu 70 %, in Naturschutzgebieten sogar um 95 % gesenkt werden. Ziel ist ein Umbau der Landwirtschaft, sodass bis 2030 der Ausstoß von Stickstoff um 50 % reduziert werden kann. Auf welchem Weg die Regierung ihr Ziel erreichen will, ist derzeit noch nicht klar. Das Ausgestalten der Auflagen überlässt die Regierung jetzt den Provinzen. Sie sollen bis Mitte kommenden Jahres konkrete Maßnahmen ausarbeiten.

Diskutiert wird, dass Tierhalter ihre Betriebsstandorte aufgeben oder verlagern könnten, sogar Zwangsenteignungen von Landwirten zur schnellen Lösung der sogenannten Stickstoffkrise sind im Gespräch.

Vor allem Landwirte, deren Betriebe in der Nähe von gefährdeten Naturschutzgebieten liegen, sollen enteignet werden. Als Ausgleich sollen die Landwirte bis einschließlich 2035 mit über 24 Mrd. € entlastet werden. 

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