StartNachrichtenAgrarpolitikDer Krieg verändert das Denken

Der Krieg verändert das Denken

Kommentar zur Ernährungssicherheit
Von Sönke Hauschild
Ertragsstabilität gewinnt in Zeiten des Klimawandels zunehmend an Bedeutung. Foto: Imago

Für jeden sichtbar gerät derzeit das weltwirtschaftliche Gleichgewicht aus der Balance, auch in der Agrarwirtschaft. So besteht die akute Gefahr, dass die weltweite Ernte in diesem Jahr weit unter dem Bedarf liegt. Zu den bekannten Gründen – Klimawandel, Bodenverschlechterung, Flächen- und Wasserknappheit, Krankheits- und Schädlingsdruck – kommt nun der Krieg. 

Die Suche nach einem neuen Gleichgewicht ist eröffnet. Ein solches Gleichgewicht kann sich langsam oder wie bei zu hohen Temperatur­unterschieden gewitterartig einstellen, und es spricht derzeit leider vieles für ein Unwetter. 

Die Landwirtschaft galt schon bisher als zentraler Problemlöser, was den Schutz des Klimas und der Arten, die Pflege unserer Natur und Umwelt oder die Erzeugung Erneuerbarer Energien und Rohstoffe betrifft. Doch – und das ist für manchen Politiker neu – plötzlich und kurzfristig geht es um die Sicherung der Welternährung. Denn um das Nahrungsproblem zu lösen und den Frieden zu wahren, brauchen wir eine produktive Landwirtschaft – weltweit und vor Ort. 

Manche Gewissheit wird erschüttert. Wir brauchen eine Landwirtschaft, die ihre Produkte zu vertretbaren Preisen erzeugt, auch wenn der Landwirt das nicht so gern hört. Wir brauchen Ertragssteigerungen auf vorhandener Fläche, auch wenn der Naturschützer das nicht gern hört. Wir brauchen eine Kreislaufwirtschaft inklusive Tierhaltung, die pflanzliche Reststoffe in menschliche Nahrung umsetzt und dabei wertvollen Dünger erzeugt. Der Verzicht auf Biosprit ist keine Lösung für den Klimaschutz oder gegen Putins Zarallüren. Es zeichnet sich ab, dass wir in der Nach-Öl-Ära noch abhängiger vom Boden werden, als wir es heute sind. 

Das ackerbaulich nutzbare Flächenpotenzial wird weltweit noch nicht ausgeschöpft. Doch gibt es klare Grenzen des (Flächen-)Wachstums. Allein China hat in wenigen Jahrzehnten die mehrfache Fläche Deutschlands verbaut, verschmutzt oder verwüstet. Auch wir müssen die Beanspruchung von Flächen für Infrastruktur und Hausbau, Gewerbe, Energieversorgung und selbst den Naturschutz neu überdenken. Die Rechnung „weniger Landwirtschaft gleich mehr Naturschutz“ geht nicht auf. Viele Landschaften sind auf Pflege und Nutzung angewiesen. 

Wir brauchen Ertragssteigerungen auf Flächen, die eigentlich kein Potenzial haben. Wir brauchen Pflanzen, die gegen Salz, Kälte, Trockenheit und Hitze tolerant sind. In der Diskussion um die Gentechnik winkt der moralische Zeigefinger vielleicht doch in die falsche Richtung. Schätzungen zufolge gehen weltweit zwischen Aussaat und Ernte mehr als 50 % des Ertragspotenzials verloren. Deshalb gehört auch die Nutzung von Düngung und Pflanzenschutz in den Instrumentenkasten.

Hohe Erträge sind wichtig. Doch vor allem die Ertragsstabilität gewinnt an Bedeutung. In vielen Ländern lassen Unwetter- und Dürrekatastrophen den Ernteertrag einbrechen. Nur wenige Regionen weltweit kommen aufgrund ihrer klimatischen und Anbaubedingungen dauerhaft an unsere Flächenerträge heran. 

Wer einmal über den eigenen Tellerrand schaut, der sieht, dass es noch viel mehr Teller auf der Welt gibt – und die meisten davon sind leer. Eine Gewissheit verstärkt sich: Nicht wo du geboren bist, ist deine Heimat, sondern wo du satt wirst.

Sönke Hauschild, Foto: bb
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