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Steinmeier: „Am Ende gewinnen dadurch alle“

Gleichstellung von Frauen und Männern als gemeinsame Sache sehen
Von Silke Bromm-Krieger
Hatten manch dickes Brett zu bohren: die ehemaligen Frauenministerinnen (v. li.) Dr. Rita Süssmuth, Manuela Schwesig, die damalige Bundeskanzlerin und Ex-Frauenministerin Dr. Angela Merkel, Franziska Giffey, Christine Bergmann und Ursula Lehr. Foto: Imago/Metodi Popow, 2018

Anlässlich des 111. Internationalen Frauentages am 8. März blicken wir auf die mehr als 150 Jahre alte deutsche Frauenbewegung zurück. Viel ist in Sachen Gleichstellung bisher erreicht worden. Doch es bestehen immer noch Barrieren.

In der ersten Phase der Frauenbewegung war diese maßgeblich von den Zielen der Französischen Revolution geprägt. Schlagworte waren damals Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. In diesem Zeitabschnitt entwickelten sich zwei unterschiedliche Strömungen: die bürgerliche und die proletarische Frauenbewegung.

Bürgerliche Frauenbewegung

Als Gründerin der bürgerlichen Frauenbewegung gilt die Schriftstellerin Louise Otto-Peters (1819-1895). Der formale Zusammenschluss und damit die organisierte Frauenbewegung beginnt im Jahr 1865, als bürgerliche Frauen den Allgemeinen Deutschen Frauenverein gründen. Zentrales Ziel dieser ersten Generation der Frauenbewegung ist der Kampf für das Recht auf Bildung und Arbeit. Dieses Recht ist nur über mehr Selbstständigkeit und Mündigkeit zu erlangen. Die Befreiung der Frau soll dabei nicht bloßer Selbstzweck, sondern nutzbringend für die Gesellschaft sein. Sie soll dem Fortschritt der Menschheit bis hin zur Verringerung des bestehenden sozialen Elends und dem Abbau der sozialen Klassengegensätze dienen.

Agnes von Zahn-Harnack (1884-1950), Vertreterin der ersten Frauenbewegung, schreibt rückblickend: „Die Frau des 19. Jahrhunderts erkannte, dass sie in einer Männerwelt lebte: Sie sah, dass die Familie, der Beruf, die Bildungsmöglichkeiten, die Stadt, der Staat, die innere und die äußere Politik, ja auch die Kirche von Männern nach Männerbedürfnissen und -wünschen eingerichtet waren; und sie sah weiter, dass alle diese Bildungen mit schweren Mängeln behaftet waren. Unter diesen Mängeln litt die Frau.“

Das Wilhelminische Reich sonnt sich zur selben Zeit im Glanz eines bahnbrechenden wirtschaftlichen Aufschwungs. Die wachsende Industrialisierung hat eine Zunahme der Frauenarbeit zur Folge. Die Zahl der außerhäuslich arbeitenden Frauen aus den unteren sozialen Schichten schnellt nach oben, und Kaiser Wilhelm II. erkennt ihren mangelnden Arbeitsschutz. Folgen sind 1890 die Einführung eines Nacht- und Sonntagsarbeitsverbots für Frauen und eine Reduzierung der täglichen Arbeitszeit von 16 auf elf Stunden. Nach wie vor bleibt die Höhe der Frauenarbeitslöhne hinter denen der Männer weit zurück. Daneben wird den Frauen ein gesellschaftspolitisches Mitspracherecht weiterhin verwehrt.

Bundesfrauenministerin Rita Süssmuth und die schleswig-holsteinische Sozialministerin Ursula Gräfin von Brockdorff (v. li.) trafen sich 1988 mit LandFrauen in Osterhever zum Gespräch. Foto: Ilse Gertz/hfr

Erwerbsarbeit ist unschicklich

Parallel dazu wächst in der Mittelschicht die Zahl der vermögenslosen Frauen kontinuierlich an. Außerhäusliche Erwerbsarbeit gilt in bürgerlichen Kreisen als unschicklich. Die Schulbildung für Mädchen endet meist im 14. Lebensjahr. Die bürgerlichen Töchter haben, falls sich keine Heiratschancen ergeben, nur die Möglichkeit, Gouvernante oder Gesellschafterin zu werden. Beide Positionen sind schlecht bezahlt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts können Frauen aus dem bürgerlichen Milieu immerhin schon Lehrerin werden, wenn sie zunächst auch nur Mädchen unterrichten dürfen und als Hilfskraft für männliche Lehrer eingestellt werden. Dieser einzige Beruf ist jedoch bald hoffnungslos überlaufen.

Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung fordern deshalb das Recht auf Arbeit. Sie wollen ihre Daseinserfüllung nicht allein im Warten auf eine standesgemäße Heirat sehen. 1866 entsteht der Verein zur Förderung der Erwerbstätigkeit des weiblichen Geschlechts (später Lette-Verein), der sich auf die Frauen der bürgerlichen Stände konzentriert. Erst ab 1872 bekommen Frauen neben dem Lehrerinnenberuf weitere Erwerbsmöglichkeiten. Kindergärtnerinnenseminare entstehen, und der Bahn-, Post- und Telegrafendienst lässt weibliches Personal zu.

Die bürgerliche Frauenbewegung legt den Schwerpunkt auf den Kampf für die Verbesserung der Mädchen- und Frauenbildung. Der Zugang zu höheren Schulen für Mädchen wird 1893 maßgeblich von der Lehrerin Helene Lange (1848-1930) erkämpft. 1895/96 nehmen die Universitäten Göttingen und Berlin Frauen erstmals als Gasthörerinnen auf. Aber erst mit der Jahrhundertwende kommt das Immatrikulationsrecht, auch gründen sich erste soziale Frauenschulen. 1923 wird die Agrikulturchemikerin Dr. Margarete von Wrangell (1877-1932) – gegen den Widerstand einiger Professoren – Deutschlands erste ordentliche Professorin an der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim. Sie führt das Institut für Pflanzenernährung.

Proletarische Frauenbewegung

Neben der bürgerlichen Frauenbewegung entsteht die proletarische (später sozialistische) Frauenbewegung, angeführt von der Näherin und Sozialdemokratin Ottilie Baader (1847-1925) und der Lehrerin und Politikerin Clara Zetkin (1857-1933). Die proletarische Frauenbewegung sieht den Kampf um Frauenrechte im Kontext mit der Arbeiterbewegung. Der Hauptgedanke ist, dass Frauen und Arbeiter eines gemeinsam haben: Unterdrückte zu sein.

Eine wichtige Forderung ist das Frauenwahlrecht. Ab 1908 können Frauen in Parteien und Gewerkschaften eintreten, die Vereinsfreiheit für Frauen tritt in Kraft. Mit dem aktiven und passiven Frauenwahlrecht, das im November 1918 im Reichstag beschlossen wird, kommt der große Durchbruch. Erstmals bei der Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919 kann die weibliche Bevölkerung wählen gehen. Dies ist die Frucht eines langen Kampfes, in dem die Sozialdemokraten, unter ihnen August Bebel und Clara Zetkin sowie der linke Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung, die Hauptlast trugen. Frauen können jetzt also wählen und sich als Kandidatinnen aufstellen lassen. Sie setzen wichtige Rechtspositionen durch, beispielsweise die Zulassung von Frauen als Richterinnen, Schöffinnen, Geschworene, ein Lohngesetz zum Schutz der Heimarbeiterinnen und das Mutterschutzgesetz. Die formaljuristischen Möglichkeiten und die Hauptforderungen der ersten Frauenrechtlerinnen sind damit nach rund 65 Jahren unermüdlichen Einsatzes erfüllt: gleiche Bildungs- und Berufsmöglichkeiten, politische Rechte und Pflichten und damit Verantwortung für das Gemeinwohl.

Zurück zu Heim und Herd

Doch schon wenige Jahre später verdrängt der Nationalsozialismus die Frauen aus dem öffentlichen Leben. Er reduziert sie auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter und nimmt wichtige Errungenschaften wieder zurück. Frauen verlieren das passive Wahlrecht, die Zulassung zur Habilitation, zum Richterinnenamt und als Rechtsanwältinnen. 90 % aller Studierenden müssen männlich sein. Facharbeiterinnen und Hilfsarbeiterinnen verdienen ein Drittel weniger als ihre männlichen Kollegen. Frauenorganisationen demokratischer Parteien und Gewerkschaften lösen sich „freiwillig“ auf, bevor sie 1933 verboten oder gleichgeschaltet werden. NS-Frauenorganisationen entstehen. Die Frauen werden in Hauswirtschaft, Kinderpflege und Ernährung geschult. Ihr Betätigungsfeld und Wirken sollen sich zum Wohle der Volksgemeinschaft auf die Familie beschränken. 1938 wird das Pflichtjahr für Mädchen und junge Frauen unter 25 Jahren eingeführt.

Schon ab den 1970er Jahren demonstrierten Frauen für mehr Lohngerechtigkeit. Diese Forderung unterstreicht auch der Deutsche LandFrauenverband beim Equal Pay Day, der in diesem Jahr am 7. März stattfindet.

 Foto: FMT/Margarete Redl-von Peinen, 1980

Gleichstellung im Grundgesetz

Nach Kriegsende erarbeitet der Parlamentarische Rat eine neue Verfassung. Am 23. Mai 1949 tritt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft.

Es ist Helene Wessel (Zentrum), Helene Weber (CDU), Friederike Nadig (SPD) und vor allem der Juristin Elisabeth Selbert (SPD) zu verdanken, dass nach kontroversen Disputen ein Gleichstellungsartikel verankert wird. In Artikel 3, Absatz 2 heißt es: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Der 1949 gewählte erste deutsche Bundestag hat 410 Abgeordnete, darunter 29 Frauen.

Ab 1945 entstehen erste Frauenverbände, die sich 1949 im Deutschen Frauenring zusammenschließen. 1950 wird im Bundesinnenministerium ein Frauenreferat eingerichtet. 1951 aus der Taufe gehoben, gibt sich 1969 der Deutsche Frauenrat seinen heutigen Namen. Er vertritt als überparteiliche und überkonfessionelle Lobby aktuell 59 Frauenorganisationen. Unter ihnen ist auch der Deutsche LandFrauenverband.

Autonome Frauenbewegung

Neben der traditionellen Frauenbewegung entwickelt sich seit 1968 die autonome Frauenbewegung. Sie geht zurück auf die Studentenbewegung und versteht sich als feministische Gegenkultur. In Westberlin entsteht der Aktionsrat zur Befreiung der Frau. Die autonomen Frauen rücken Themen ins Blickfeld, die vorher kaum Beachtung fanden wie Gewalt in der Ehe, Frauengesundheit und das Abtreibungsverbot. Autonome Frauenhäuser und Frauenzentren entstehen. Frauenrechtlerin Alice Schwarzer gründet Mitte der 1970er Jahre in Köln die Frauenzeitschrift „Emma“ und setzt sich öffentlich für die Emanzipation ein. 1977 wird bei Ehescheidung das bisherige Schuldprinzip vom Zerrüttungsprinzip abgelöst, die Hausfrauenehe abgeschafft. Frauen dürfen nun ohne Erlaubnis des Mannes einer Berufstätigkeit nachgehen.

In den 1980er Jahren beginnt die „neue Frauenbewegung“ sich als gestaltende Akteurin von gesellschaftlicher Emanzipation zu profilieren. 1986 wird Dr. Rita Süssmuth (CDU) erste Bundesfrauenministerin in Deutschland. Kommunale Gleichstellungsstellen entstehen, die Frauenpolitik institutionalisiert sich zunehmend.

Wiedervereinigung schafft neue Verhältnisse

Durch die deutsche Einheit ergibt sich in den 1990er Jahren eine neue Situation für die Frauenbewegung. Die offizielle Wiedervereinigungsdebatte klammert Fragen der Frauen- und Familienpolitik weitgehend aus. Über zwei Drittel der nach der Wende entlassenen Arbeiter im Osten sind weiblich. Sie ziehen sich für eine gewisse Zeit in die Hoffnungslosigkeit und ins Privatleben zurück. Die Frauen im Westen spüren gleichzeitig, dass sich gesellschaftliche Veränderungen verlangsamen.

1989 feiern Frauen aus Ost und West den Internationalen Frauentag zum ersten Mal gemeinsam. Die unterschiedlichen Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs in Ost und West erweisen sich als Stolperstein der Wiedervereinigung. Im Osten gilt die Fristenlösung, im Westen die Indikationslösung. Die Neuregelung des § 218 wird deshalb bis Ende 1992 verschoben, schließlich die Fristenlösung in den neuen Bundesländern abgeschafft.

Als erste ordentliche Professorin in Deutschland hatte Margarete von Wrangell mit Widerständen zu kämpfen. Foto: Uni Hohenheim/hfr

Trotz Widerständen

1994 wird Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes – auch hier zunächst gegen Widerstände – konkretisiert. Jetzt heißt er: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Seit 1997 ist die Vergewaltigung in der Ehe strafbar, seit 2002 kann ein Täter wegen häuslicher Gewalt gegen seine Frau und/oder Kinder durch das Gewaltschutzgesetz aus der gemeinsamen Wohnung verwiesen werden. 2016 beschließt der Bundestag, dass eine sexuelle Handlung auch dann als Vergewaltigung gewertet werden kann, wenn sich die Betroffene nicht aktiv wehrt.

Stark für die Zukunft

Auch wenn bereits viel erreicht ist, mit Dr. Angela Merkel (CDU) 2005 erstmals eine Frau Bundeskanzlerin wird, bleibt eine Menge zu tun, damit Frauen und Männer auf dem gesamten Lebensweg die gleichen Chancen erhalten – ob persönlich, beruflich oder familiär. Auf EU-Ebene und national wird vonseiten der Politik kontinuierlich daran gearbeitet. Mit der 2020 beschlossenen Nationalen Gleichstellungsstrategie „Stark für die Zukunft“ konkretisiert die Bundesregierung ihre Ziele und verpflichtet sich, die Gleichstellung bei der Gesetzgebung und in ihren Förderprogrammen umzusetzen. Es gilt, die immer noch bestehenden Verdienstunterschiede zu beseitigen, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen sowie eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Angehörigenpflege zu erreichen. Ebenfalls ist es geboten, eine Qualifizierung ohne Geschlechterklischees sicherzustellen, das heißt junge Frauen speziell in den Bereichen Naturwissenschaft, Forschung und Technik zu fördern. Zudem sollen von häuslicher Gewalt Betroffene oder Bedrohte besser geschützt werden. Hierfür trat Deutschland Anfang 2018 der Istanbul-Konvention bei, einem Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt.

Schulterschluss wagen

Eines ist gewiss: Die staatlichen Maßnahmen können am wirksamsten fruchten, wenn sich in den Köpfen aller Menschen ein Wandel vollzieht. Dies bekräftigte Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier anlässlich eines Empfangs des Deutschen Frauenrates in Schloss Bellevue vor zwei Jahren: „Frauenrechte, davon bin ich überzeugt, sind nicht Sache von Frauen allein. Sie sind unsere gemeinsame Sache, die Sache von Demokratinnen und Demokraten. Wer als Mann auch mal die Perspektive der Frauen einnimmt, der kann Frauen unterstützen, ohne in paternalistische (bevormundende) Gesten zu verfallen. Und der kann mithelfen, gläserne Decken zu sprengen, weil er weiß: Am Ende gewinnen dadurch alle.“

Für die Sache der Frauen: Im Mai 1965 diskutierten nordfriesische LandFrauen mit Bundeskanzler Ludwig Erhard im Bonner Palais Schaumburg.

Foto: privat/hfr
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