Die in Berufsstand und Politik in Verruf geratene Stoffstrombilanz genießt in der Wissenschaft weiterhin hohe Anerkennung. Zumindest die Kieler Agrarwissenschaftler Prof. Friedhelm Taube und Prof. Uwe Latacz-Lohmann sehen die Stoffstrombilanz für Stickstoff und Phosphor als zentrales ordnungsrechtliches Instrument zur Honorierung nachhaltiger Landwirtschaft. Sie sprechen sich im Abschlussbericht zum Modellprojekt Schlei außerdem dafür aus, die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) um innovative Ökoregelungen und Zweite-Säule-Maßnahmen zum Schutz der Gewässer zu erweitern.
In Summe sei die Kombination aus ambitioniertem Ordnungsrecht und ökoeffizienten Fördermaßnahmen die geeignete Strategie, um die Ziele im Gewässerschutz zu erreichen, uteilten Taube und Latacz-Lohmann bereits im Anschluss an eine Ausschusssitzung des schleswig-holsteinischen Landtags im Januar. Freiwillige Maßnahmen allein reichten nicht aus.
Die Forscher präsentierten Ergebnisse des Schlei-Projekts, in dem Maßnahmen zur Verringerung der Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft in die Ostsee in der Modellregion Schlei untersucht wurden. Dabei wurden die Stoffstrombilanzen von 30 Betrieben in der Modellregion erfasst und bewertet und umfängliche Anbaualternativen zur Reduktion der Nitratkonzentrationen im Sickerwasser getestet. Danach zeigen die Stoffstrombilanzsalden, dass mehr als zwei Drittel der Betriebe die Zielgrößen entsprechend dem sogenannten 120/120-Modell einhalten, ein Drittel jedoch nicht. Taube und Latacz-Lohmann leiten daraus ab, dass die Stoffstrombilanz als Instrument zum Schutz der guten Betriebe fortgeführt werden müsse. Darüber hinaus müssten die sehr guten Betriebe, die sich durch geringe positive Salden auszeichneten, zusätzlich honoriert werden, etwa über ein Punktesystem im Rahmen einer Gemeinwohlprämie.
Die Sickerwasseranalysen verschiedener Ackerfruchtfolgen im Rahmen des Projekts zeigen den Professoren zufolge zudem, dass die klassische Marktfrucht-Fruchtfolge aus Raps und Weizen bei Düngung nach Düngeverordnung nicht in der Lage sei, die Nährstoffausträge über die Drainagen in die Ostsee ausreichend im Sinne der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie und Meeresstrategierichtlinie zu reduzieren. Vorgeschlagen wird, mehrjährige Kleegrassysteme als Einstieg in eine Hybridlandwirtschaft zu fördern. Hybridsysteme seien in der Lage, den Nährstoffeintrag in die Gewässer um rund 30 % zu reduzieren und Umweltkosten in der Größenordnung von etwa 240 €/ha bei geringen Ertragsreduktionen zu vermeiden.
Plädoyer für die Stoffstrombilanz
So hält der Projektbericht zusammenfassend fest, dass die Stickstoff- und Phosphorüberschüsse auf den Projektbetrieben im Schnitt zu hoch seien. Da die Hälfte der Betriebe in den Untersuchungsjahren die Zielvorgaben einer wissenschaftlich fundierten guten fachlichen Praxis der Düngung für das Zieljahr 2030 erfüllt habe und der Aufwand zur Erstellung einer Hoftorbilanz überschaubar sei, plädieren die Autoren für die Implementierung der Stoffstrombilanzverordnung für N und P für alle Betriebe. Die Honorierung günstiger (übergesetzlicher) Hoftorsalden im Rahmen einer Gemeinwohlprämie biete entsprechende betriebswirtschaftliche Anreize und decke in der aktuellen Kalibrierung des Punktwertes und des Korrekturfaktors die durchschnittlichen Anpassungskosten. Krisenbedingt habe es in den Untersuchungsjahren positive Anpassungen unabhängig von der Honorierung der Hoftorsalden gegeben. Bei wieder zurückgehenden Betriebsmittelpreisen sei es jedoch möglich, dass die Betriebe ihren Betriebsmitteleinsatz erneut intensivierten. Um eine solche Rückentwicklung zu verhindern und zur Förderung positiver Anpassungsstrategien brauche es finanzielle Anreize, wie sie durch eine Gemeinwohlprämie geboten würden.
Mit seinen Getreideeträgen nach Kleegras unterstreiche der Demobetrieb Hobus die Potenziale eines Hybridansatzes insofern, als ein Hafer nach zwei- bis dreimal überwinterndem Kleegras nahezu frei von Unkräutern und Ungräsern sei und bei einem optimalen, frühen Aussaattermin ohne N-Düngung und chemischen Pflanzenschutz den vollen Ertrag realisiere.
Ressourceneffizienz und hohe Produktivität
Die Hybridlandwirtschaft sei ein Konzept, das durch Integration von Kleegras in eine Ackerbaufruchtfolge einerseits die Ziele der Ressourceneffizienz und andererseits eine hohe Produktivität vereine. Dies habe sich auch anhand des vorgenommenen Vergleiches von Deckungsbeiträgen mithilfe von Szenarien ergeben, der zeige, dass die hybride Fruchtfolge mit herkömmlichen Fruchtfolgen konkurrieren könne, sofern eine wirtschaftliche Verwertung des Kleegrases erfolge. Dies in Verbindung mit den positiven Vorfruchteffekten des Kleegrases und der Teilnahme an einzelnen Ökoregelungen lasse die Hybridlandwirtschaft im Vergleich zu einer dreigliedrigen Referenzfruchtfolge aus Weizen, Gerste und Raps wirtschaftlich attraktiv werden.
Im Exaktversuch in Hohenschulen sei das 90/10-Modell auf Validität geprüft worden mit dem Ergebnis, dass zumindest kurzfristig keine negativen physischen Ertragseffekte der N-Düngungsreduktion auf 90 % des Bedarfs für den Landwirt aufträten. Inbesondere sei dies dann nicht der Fall, so der Abschlussbericht weiter, wenn dies mit Anpassungen in der Fruchtfolge (Zwischenfrüchte/Sommerungen), Sortenwahl und angepasster N-Dünungsstrategie kombiniert werde. Mit Verweis auf die nicht vollständig repräsentative Stichprobe unterstrichen die betriebswirtschaftlichen Auswertungen dieses Ergebnis und verdeutlichten, dass besonders die restriktiven Bewirtschaftungsauflagen der Extensivflächen Treiber der Mehrkosten für die schlaginterne Segregation seien.
Das Experiment habe ergeben, dass Landwirte bereit seien, an einem entsprechenden Förderprogramm zur schlaginternen Segregation teilzunehmen. Für die Ausgestaltung eines solchen Förderprogramms seien neben der eindeutigen ökologischen Wirksamkeit aus der Perspektive der landwirtschaftlichen Betriebe ein adäquater Fördersatz, möglichst einjährige Verpflichtungszeiträume, keine Vorgaben zur Mindestgröße der Vertragsfläche, keine verpflichtende Beratung und kein zusätzlicher Kontrollaufwand wichtig. Unter den Bewirtschaftungsauflagen der Extensivflächen hätten sich der reine Stickstoffdüngerverzicht beim Anbau derselben Kultur wie auf der Intensivfläche sowie (alternativ) das Etablieren von Blühflächen als diejenige Variante erwiesen, die auf größte Akzeptanz stießen, wobei die genannten Varianten unter dem Vorbehalt der düngerechtlichen Anerkennung stünden.
Insgesamt zeigten die Arbeiten, urteilt der Bericht abschließend, dass eine „Kombination aus ordnungsrechtlichen Basismaßnahmen (Stoffstrombilanz mit ambitionierten Zielwerten) und klug gesetzten Anreizen für Landwirte (Honorierung besonders günstiger Nährstoffsalden; Hybridlandwirtschaft) einen vielversprechenden Politikmix zur Erreichung von Umweltzielen bei hohen Produktionsniveaus darstellt“.
Der Projektbericht zum Modellvorhaben Schlei ist auf der Seite des MEKUN abrufbar unter schleswig-holstein.de/modellvorhaben-schlei
Zum Interview mit Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) über das Modellvorhaben Schlei geht es hier.