Die Agrarmärkte spielen seit Wochen verrückt. Bei den gegenwärtigen Getreidepreisen sind in diesem Jahr Rekordumsätze auf einem Hektar möglich. Durch die gestiegenen Betriebsmittel-, Rohstoff- und Energiepreise (Dünger, Diesel und so weiter) sind jedoch die für stabile Erträge notwendigen Aufwendungen auch deutlich gestiegen. Wer in diesem Jahr viel gewinnen kann, kann ebenso viel verlieren.
Mehr als nur ärgerlich, wenn bei dem gestiegenen Kostenaufwand ein Teil des möglichen Umsatzes den Geldbeutel nicht erreicht und durch lagerndes Getreide auf dem Feld liegen bleibt. Durch standfeste Getreidebestände werden letztendlich nicht nur empfindliche Ertragseinbußen vermieden, sondern bei ungünstiger Wetterlage zur Ernte auch die Nerven des Ackerbauers geschont.
Empfehlungen zum Einsatz von Wachstumsregulatoren in der jeweiligen Getreidekultur werden im aktuellen „Ratgeber Frühjahr 2022 – Pflanzenschutz im Ackerbau“ der Landwirtschaftskammer dargestellt. Im Ratgeber sind auch aktuelle Übersichten zu den Einsatzmöglichkeiten, wie zum Beispiel maximalen Aufwandmengen und Einsatzterminen und den einzuhaltenden Auflagen (etwa Gewässerabständen) der zugelassenen Wachstumsregulatoren, enthalten. Ratgeber und Zulassungsübersichten können auf der Homepage der Landwirtschaftskammer (lksh.de) heruntergeladen werden.
Viele Szenarien sind möglich
Die altbewährten Wirkstoffe Chlormequatchlorid (CCC-720), Trinexapacethyl (zum Beispiel Moddus, Prodax), Mepiquatchlorid (Medax Top), Prohexadion (Medax Top, Prodax) und Ethephon (zum Beispiel Cerone 660) bilden weiterhin die Basis in der Einkürzung und Stabilisierung der Getreidekulturen. Auf allgemeine Mittelempfehlungen und Einsatzstrategien wird in diesem Artikel aber verzichtet.
Zu Beginn der diesjährigen Vegetation gibt es noch wesentliche Einflussgrößen, welche die spätere Wachstumsreglerstrategie entscheidend beeinflussen können. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch die stabile Hochdruckwetterlage seit Anfang März. Sofern in der zweiten Märzhälfte keine nennenswerten Niederschläge fallen, werden auf vielen Flächen die ersten stickstoffhaltigen Düngemaßnahmen nicht wirksam. Das wird sich wiederum auf die Bestockung der Getreidebestände beziehungsweise zulasten der Bestandesdichte auswirken. So könnten bei günstiger Wetterlage auch geringere Wachstumsreglerintensitäten stabile Getreidehalme hervorrufen. Als praktizierender Ackerbauer steht man also in jedem Jahr vor der großen Herausforderung, die Lagergefahr der Getreidebestände richtig einzuschätzen und in diesem Zusammenhang die Wachstumsreglermaßnahmen in Intensität und Terminierung optimal an die jahresspezifischen Rahmenbedingungen anzupassen.
Lageranfälligkeit der Sorte
Bereits die Sortenwahl hat einen entscheidenden Einfluss auf die Standfestigkeit der Getreidebestände und die daraus resultierende notwendige Wachstumsreglerintensität im Frühjahr. Mit der Züchtung von Kurzstrohhybriden hat sich beispielsweise die Standfestigkeit des Winterweizens erheblich verbessert. In allen modernen Weizensorten sind heutzutage Kurzstrohgene eingekreuzt. Dennoch bestehen Unterschiede in der genetischen Ausstattung, sodass die einzelnen Sorten verschiedene Wuchshöhen aufweisen und zudem beim Einsatz von Wachstumsregulatoren unterschiedlich in der Einkürzung reagieren. Beide Parameter nehmen Einfluss auf die Standfestigkeit, sodass sich die Sorten in der Lageranfälligkeit unterscheiden. Deshalb sollten die agronomischen Eigenschaften der Sorten wie Standfestigkeit oder bei der Wintergerste auch die Neigung zum Halm- und Ährenknicken bei der Wachstumsreglerstrategie keinesfalls unberücksichtigt bleiben. In der Beschreibenden Sortenliste des Bundessortenamtes wird jede Sorte nach ihrer Lageranfälligkeit und agronomischen Eigenschaften benotet.
Einfluss der Bestandesdichte
Einen häufig unterschätzten Einfluss auf die Lagergefahr haben hohe Bestandesdichten. In der Schossphase treiben sich die Getreidehalme gegenseitig in die Länge, und erhöhte Wachstumsreglerintensitäten werden notwendig, um ausreichende Effekte auf die Stabilisierung und Verkürzung der Getreidehalme zu erreichen. Der Grundstein wird bereits mit der Herbstaussaat gelegt, denn je früher die Aussaat, desto stärker ist die Bestockung der Pflanzen und desto mehr Nebentriebe werden gebildet. Saattermin und Saatstärke müssen daher aufeinander abgestimmt sein, um die gewünschte Bestandesdichte von 500 bis 650 Ähren tragenden Halmen je Quadratmeter in Abhängigkeit von Getreidekultur, Sorte und Standorteigenschaften zu erreichen. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Das Zusammenspiel zwischen Saatstärke und Saatzeit gestaltet sich aber immer schwieriger, da eine unkalkulierbare Herbst- und Winterwitterung entscheidenden Einfluss auf die Bestockung nimmt.
In den vergangenen Jahren waren bei warmer Herbstvegetation und milden Wintern frühe Saaten im September einem erheblichen Risiko ausgesetzt, sich zu stark zu bestocken. In den vergangenen Jahren waren aber auch zu dünne Bestände, verursacht zum Beispiel durch mangelnden Feldaufgang oder extreme Herbstnässe, keine Seltenheit. In dünneren Beständen gelangt wiederum mehr Licht an die Halmbasis und unterstützt eine natürliche Stabilisierung. Dadurch bleiben Getreidehalme kürzer und standfester.
Stabiles Fundament schaffen
Erste Wachstumsreglermaßnahmen sind idealerweise in der frühen Schossphase (ES 31 bis ES 31/32) platziert, um die unteren Halmabschnitte ausreichend zu stabilisieren. Bei späteren Einsätzen ab ES 32 werden oft keine ausreichenden Effekte mehr auf die untersten Halmabschnitte erzielt. Dennoch bestimmen in der frühen Schossphase die Witterungsbedingungen den optimalen Einsatzzeitpunkt der Wachstumsregler. Unter günstigen Anwendungsbedingungen, also bei intensivem Pflanzenwachstum mit Tagestemperaturen über 15 °C und starker Sonneneinstrahlung, können die Wachstumsregler ihre Wirkung optimal entfalten. Bei ungünstigen Anwendungsbedingungen sollten die Maßnahmen besser verschoben werden, sofern das Entwicklungsstadium des Getreides dies noch zulässt. Alternativ sind robustere Aufwandmengen zu wählen, um ausreichende Stabilisierungseffekte bei ungünstiger Witterungslage (zum Beispiel kühle und strahlungsarme Witterung) zu erzielen.
Der Hebel ist klein zu halten
Mit dem Wachstumsreglereinsatz in der frühen Schossphase soll ein stabiles Fundament geschaffen werden. Da die letzten Halmabschnitte besonders lang werden, verfolgt die Folgebehandlung in ES 33 bis ES 45 das Ziel einer möglichst starken Reduzierung der Pflanzenlänge. In vielen Fällen wird diese Maßnahme mit dem Fungizideinsatz bei vollständiger Entfaltung des Fahnenblattes (ES 39) kombiniert. Es gilt allerdings zu beachten, dass bei einer früheren Terminierung zu ES 33 bis 37 eine stärkere Einkürzung bewirkt wird. In Jahren mit erhöhter Lagergefahr kann dies zu entscheidenden Einkürzungen führen, auch wenn eine Extradurchfahrt in Kauf genommen werden muss.
Eine Besonderheit besteht wiederum bei der Wintergerste, deren letzter Halmabschnitt sehr lang und instabil werden kann. In Sorten mit erhöhter Neigung zum Ährenknicken hat sich deshalb eine weitere Anwendung von Ethephon bis ES 49 bewährt.
Vorsicht, Stickstoffschübe!
Allgemein ist bei der Gestaltung der Wachstumsreglerstrategie auch die Wasser- und Nährstoffversorgung der Bestände stets zu berücksichtigen. Bei hohem Angebot von Nitratstickstoff oder hoher N-Nachlieferung (zum Beispiel auf einem Güllestandort) während der Streckungsphase sind robuste Aufwandmengen zu wählen. In diesem Zusammenhang sind Wachstumsregler oft gut terminiert, wenn nach längerer Trockenheit größere Regenereignisse viel Stickstoff im Boden freisetzen und dadurch mit größeren Entwicklungsschüben zu rechnen ist. Bei anhaltender Trockenheit während der Schossphase wird das Längenwachstum wiederum ausgebremst, insbesondere auf leichten Standorten ist ein sehr vorsichtiger Einsatz von Wachstumsregulatoren angeraten.
Fazit
Die von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen verlangen angepasste Strategien in der Intensität und Terminierung von Wachstumsreglermaßnahmen. Natürlich kann auch die Mittelwahl Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg standfester Getreidebestände nehmen. Von sehr viel größerer Bedeutung sind aber präventive Maßnahmen (zum Beispiel der Anbau standfester Sorten und die Vermeidung zu früher Saattermine) sowie eine optimale Terminierung der Wachstumsreglermaßnahmen unter Berücksichtigung der Witterungsbedingungen, Wasser- und Nährstoffversorgung und der Entwicklungsstadien der Getreidekultur.