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Grundlagen der Gebisskunde

Die Vorträge der Tierschutztagung: Heiko Schmidt-Sentek
Von Lena Höfer
Heiko Schmidt-Sentek ist Leiter eines Rehazentrums für Pferde in Ellerhoop, Kreis Pinneberg, und Spezialist für Gebisse. Foto: Sprenger

Heiko Schmidt-Sentek von der Firma Sprenger Metallwarenfabrik ist seit 15 Jahren als Spezialist für Pferdegebisse unterwegs. Er referierte im Rahmen der Tierschutztagung über Materialien, Ausführungen und den richtigen Sitz von Gebissen. Dabei wurde deutlich, wie wichtig dieses Thema für den Reitsport ist.

„Eine korrekte Verschnallung von Gebiss und Trense ist aktiver Tierschutz“, machte Heiko Schmidt-Sentek von der Firma Sprenger Metallwarenfabrik als Erstes klar. Auch laut der Leistungsprüfungsordnung (LPO) darf ein Gebiss nicht unangenehm sein. „Es ist für das Pferd erst einmal ein Fremdkörper und muss sitzen, bevor man überhaupt in den Sattel steigt“, sagte der Spezialist aus Ellerhoop, Kreis Pinneberg. Dabei seien die Entwicklung und Forschung in den vergangenen Jahren stetig weitergegangen und es lohne sich, bei diesem Thema auf dem Laufenden zu bleiben.

„Die Gebissauswahl ist abhängig vom Einsatz des Pferdes, dem Ausbildungsstand, dem Temperament und dem Platzbedarf im Pferdemaul“, erklärte Schmidt-Sentek, der auch Championats- und Kaderreiter berät. Zunächst müsse das Pferd lernen, einen Gegenstand im Maul zu haben. Natürlich müsse außerdem das Gebiss zur Anatomie passen, denn im Pferdemaul sei deutlich weniger Platz als weithin vermutet. „Wenn es drückt, wird kein Pferd entspannt laufen“, sagte Schmidt-Sentek. Zudem dürften Reiter nicht deswegen ein schärferes Gebiss nehmen, weil sie sonst ihr Pferd nicht halten könnten. „Die Ausbildung muss schon stimmen“, erklärte der Fachmann.

Mit Aurigan, Sensogan, Edelstahl, Gummi und Kunststoff, Sweet Iron und Titan stehen verschiedenste Materialien zur Auswahl. Jedes davon hat bestimmte Vor- und Nachteile. „In Edelstahl ist Nickel enthalten. Dagegen haben nicht nur viele Menschen eine Allergie, sondern eben auch viele Pferde“, nannte Schmidt-Sentek als Beispiel.

Richtige Größe und richtiges Material finden

Für Pferde mit Nickelallergie wurden daher Gebisse aus Auri­gan entwickelt, das aus Kupfer, Silizium und Zink besteht. Doch das Material oxidiert stark. Mit Senso­gan hat Sprenger nun eine weitere Alternative geschaffen, bei der Silizium durch Mangan ersetzt wurde. Auch Titan sei ein antiallergenes Material und könne daher bei allergischen Pferden eingesetzt werden. Eine weitere Alternative kommt aus Schleswig-Holstein: Der Springreiter Tjark Nagel hat in Marne, Kreis Dithmarschen, die Firma Nathe gegründet, die ein Gebiss aus Thermoplast vertreibt. „Manche Pferde mögen einfach kein Metall. Da ist dies oft die beste Option“, sagte Heiko Schmidt-Sentek.

Eine Vermessung von Maulhöhlen bei Pferden ergab, dass diese kleiner sind als bis dahin angenommen und entsprechend wenig Platz für ein Gebiss bieten. Foto: Sprenger

Gemeinsam mit der Tierärztlichen Hochschule Hannover hat die Firma Sprenger vor einigen Jahren eine Studie zum Thema Gebisse durchgeführt. Dafür wurde bei mehr als 100 Pferden verschiedenster Rassen, Altersgruppen und Größen die Stelle vermessen, an der das Gebiss im Pferdemaul liegt. Das Ergebnis war erstaunlich: Lediglich 3,5 cm Platz sind an dieser Stelle im durchschnittlichen Pferdemaul, wenn die Zähne geschlossen sind. „Allerdings liegt ja dort auch noch die Zunge, und die hat sehr viele Nerven“, gab Schmidt-Sentek zu bedenken. Außerdem sei die Unterkieferlade nur zwischen 2,5 und 3,5 cm breit. Da die Zunge immer breiter sei als die Unterkieferlade, wirke sie als Polster für das Gebiss.

„Nutze ich ein doppelt gebrochenes Gebiss mit 18 Millimetern und dicker Olive, liegt das beim Durchschnittspferd schon oben am Gaumen“, verdeutlichte der Fachmann. Wer sich unsicher ist, kann den Zweifingertest machen: „Wenn die Zunge die gesamte Maulhöhle ausfüllt, wird es für das Gebiss eng.“ Zwei Finger, Zeige- und Mittelfinger, sollten ohne Zunge zwischen Ober- und Unterkieferlade noch Platz haben. Verspürt man Druck auf beiden Fingern, empfiehlt die Firma Sprenger die Stärke 14 bis 16 mm. Verspürt man kaum Druck auf den Fingern, wird die Stärke 16 bis 18 mm empfohlen.

Falsche Gebisse können zu Schmerzen führen

Wenn ein zu dickes Gebiss gewählt wird, besteht die Gefahr, dass Druck auf den empfindlichen Gaumen ausgeübt wird. Dadurch können Druckstellen und Verletzungen entstehen, die für das Pferd unangenehm sind. Dieses Problem trete in der Praxis relativ häufig auf und könne zu Kopfschlagen, Aufsperren des Mauls oder „Sich-auf-die-Hand-Legen“ führen.

Die verschiedenen Stärken, also die Durchmesser der Gebisse, unterscheiden sich demnach nicht in der Schärfe oder gar „Pferdefreundlichkeit“. Stattdessen gilt es, die richtige Stärke für das jeweilige Pferd zu finden, damit es nicht drückt.

Darüber hinaus haben die verschiedenen Gebissformen auch unterschiedliche Wirkungsweisen. „Wenn es keinen Hebel gibt, sind die Zunge und die untere Lade der Hauptwirkpunkt“, erklärte Schmidt-Sentek. „Mit Hebel sind das Genick und das Nackenband der zweite Wirkpunkt. Wenn man zusätzlich mit Kinnkette oder -riemen arbeitet, kommt die Einwirkung auf den Unterkiefer dazu. Ein weiterer Wirkpunkt ist der Nasenrücken.“ Hierbei müsse man beachten, dass der freitragende Teil viel sensibler sei, Nervenaustrittspunkte müssten beachtet werden. „Kein Reithalfter sollte zu eng verschnallt werden, da sonst die Losgelassenheit eines Pferdes nicht erfolgen kann“, sagte Schmidt-Sentek.

Unterschiedliche Wirkungsweisen

Wassertrensen empfahl der Experte zum Anreiten. Diese wirken hauptsächlich auf die Zunge, das Mundstück kann im beweglichen Ring gleiten. „Wenn der Reiter also die Hand ruhig stehen lässt, das Pferd aber gegen die Hand geht, wird der Druck auf der Zunge nicht so stark wie bei festen Seitenteilen.“ Bei der Auswahl muss auch auf die Größe geachtet werden: Der Abstand zwischen Maulwinkel und Gebissring sollte 0,5 cm nicht überschreiten.

Die Gebissschenkel einfach gebrochener Gebisse sind fertigungstechnisch bedingt immer unterschiedlich lang, wodurch einseitig immer etwas mehr Druck ausgeübt wird. Foto: Lena Höfer

Dicht am Maulwinkel anliegen sollten hingegen Gebisse mit festen Seitenteilen. Sie wirken ebenfalls auf die Zunge, sind aber etwas direkter als Wassertrensen und liegen ruhiger im Pferdemaul. Schmidt-Sentek empfahl sie nur Reitern mit einer ruhigen Hand. Bei Pferden, die dazu neigten, sich der Zügelhilfe nach oben zu entziehen, helfe häufig ein Martingal. Man könne in diesem Fall auch eine Trense mit zusätzlicher Genick­einwirkung benutzen, also ein Hebelgebiss. Allerdings müsse man hier Vorsicht walten lassen, denn der Druck, den man dabei einsetzen könne, sei enorm.

Reitet man mit zwei Zügeln, zum Beispiel mit Pelham, wirkt der obere Zügel ganz normal auf die Zunge. Der untere Zügel hingegen wird mit Hebelwirkung eingeschnallt und kann so auch auf den Nacken Druck ausüben. Damit der Druck nicht zu stark wird, nutzt man eine Kinnkette. „Wenn diese anliegt, sollte die Reiterhand nicht mehr rückwärts einwirken, damit die Zunge nicht auf die Unterkieferlade gequetscht wird“, sagte Schmidt-Sentek. Auf Turnieren reitet man erst ab Klasse M** mit zwei Zügeln.

Bei manchen Gebissen kann die Hebelwirkung je nach Verschnallung der Zügel verändert werden. Foto: Sprenger

Eine Dressurkandare verfügt über feste Seitenteile und eine feste Stange. Es ist wichtig, dass diese locker anliegen, ohne zu klemmen. „Die Dressurkandare wird einen Zentimeter kleiner gewählt als die Wassertrense“, erklärte der Fachmann. Da hier zwei Gebisse eingesetzt werden, darf der Kinnkettenhaken dazwischen nicht eingeklemmt werden. Trensen ohne Gebiss, wie etwa das Hackamore, wirken auf das Genick, den Nasenrücken und die Kinnlade. Sie sind also mit Vorsicht einzusetzen.

Ausprobieren, womit sich das Pferd wohlfühlt

Mit Bildern verdeutlichte der Fachmann im Folgenden, wie sich der Druck bei doppelt oder einfach gebrochenen Gebissen verteilt. Er betonte: „Man kann nicht sagen, dass eins davon weicher oder schärfer ist. Jedes Pferd hat eine andere Anatomie. Man muss auch ausprobieren, womit sich das Pferd in der Arbeit wohlerfühlt.“ Allerdings hatten die doppelt gebrochenen Gebisse früher lange Mittelstücke – etwa 4,5 cm – mit großen Augen. „Heute weiß man, dass das nur drücken konnte. Nun haben sie 2,5 Zentimeter und die Augen sind gedreht und schmaler.“ Im Ergebnis liefen viele Pferde damit besser.

Die Firma Sprenger hat viele verschiedene Gebisse entwickelt, um auf die Bedürfnisse von Pferden und Reitern eingehen zu können. Eins davon ist das WH Ultra, welches für unkonzentrierte Pferde eingesetzt werden kann. Es hat ein bewegliches Mittelstück, mit dem die Pferde spielen können. „So spannt das Pferd abwechselnd die Zunge an und lässt wieder los. Dadurch kommt die Hilfengebung besser an“, erklärte Schmidt-Sentek.

Ein anderes einfach gebrochenes Gebiss, das Turnado, unterbindet das Hin- und Hergeschiebe der Zunge im Maul, denn das könne zu einer Verkantung des Kopfes führen. Es eignet sich auch gut für Pferde mit flachem Gaumen, denn durch die Verdrehung spart es Platz nach oben. Außerdem umgeht das Turnado das Problem der ungleichmäßigen Druckverteilung von einfach gebrochenen Gebissen. Bei diesen seien die Gebissschenkel fertigungstechnisch bedingt immer unterschiedlich lang, wodurch einseitig immer etwas mehr Druck ausgeübt werde. Dieses Problem lasse sich auch beheben, indem das Gebiss regelmäßig umgedreht werde.

Das Gelenk in der Mitte des Turnado-Gebisses wurde um 45° nach vorne geneigt, um eine gleichmäßige Druckverteilung zu gewährleisten. Foto: Sprenger
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