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Der phänologische Kalender

Gärtnern nach Leitpflanzen
Von Anke Brosius
Das phänologische Jahr beginnt mit der Haselblüte. 

Wenn die Kornelkirsche ihre Blüten öffnet, zeigt dies phänologisch den Vorfrühling an, mit dem Aufbrechen der Apfelknospen beginnt phänologisch der Vollfrühling. Der Begriff „Phänologie“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich „Lehre von den Erscheinungen“. In der Praxis beobachtet die Phänologie jährlich wiederkehrende Naturerscheinungen insbesondere bei Pflanzen, aber auch bei Wildtieren wie Insekten und Vögeln, und setzt sie zueinander ins Verhältnis. Aufgrund der großen regionalen Witterungs- und Klimaunterschiede schon allein im deutschsprachigen Raum lassen sich die richtigen Zeitpunkte für gärtnerische Tätigkeiten anhand der phänologischen Jahreszeit oft passender bestimmen als anhand fester Daten.

Der phänologische Kalender kennt im Unterschied zum astronomischen und zum meteorologischen Kalender (siehe Kasten) nicht nur vier, sondern zehn Jahreszeiten: Frühjahr, Sommer und Herbst werden jeweils in eine ­Früh-, Haupt- und Spätphase unterteilt. Einzig die Wintermonate, in denen aus phänologischer Sicht nicht viel passiert, werden zu einer einzigen Jahreszeit zusammengefasst.
Zudem sind beim phänologischen Kalender, anders als beim meteorologischen und astronomischen Kalender, die Zeitpunkte für den Beginn der verschiedenen Jahreszeiten nicht von vornherein festgelegt, sondern sie orientieren sich jeweils am tatsächlichen Witterungslauf, wie er in der Vegetation sichtbar wird und der von Jahr zu Jahr schwankt. Für jede Jahreszeit werden typische Zeigerpflanzen definiert; überwiegend handelt es sich dabei um weitverbreitete Wild- oder Obstgehölze, deren Blüte, Blattaustrieb, Fruchtbildung oder Laubfall den Beginn der jeweiligen Periode anzeigen. Aber auch anhand von Wildstauden lässt sich der Jahreszeitenkreislauf beobachten.

Auch Wildstauden werden als phänologische Leitpflanzen herangezogen: Die Blüte des Huflattichs zeigt den Vorfrühling an. Foto: Anke Brosius

So dienst meistens zwar die Haselblüte als markantes Kennzeichen für den Beginn des Vorfrühlings, zuweilen werden aber auch die Blüte von Huflattich, Schneeglöckchen oder Märzenbecher für Vergleiche herangezogen. Der phänologische Erstfrühling beginnt mit der Blüte von Forsythie, Buschwindröschen, Kirsche, Schlehe und Ahorn sowie der Laubent­faltung von Birke und Buche. Der Vollfrühling wird vor allem durch den Beginn der Apfelblüte markiert, aber auch Flieder- und Rosskastanienblüte sowie die Laubent­faltung von Eiche und Hainbuche beschreiben diese Jahreszeit. Wenn Holunder und Hundsrose (Rosa canina) blühen, beginnt nach dem phänologischen Kalender der Frühsommer. Die Blüte der Sommerlinde charakterisiert den Beginn des Hochsommers, mit der Fruchtreife der Eberesche und der Heideblüte beginnt der Spätsommer. Zuweilen wird zur Definition des Spätsommers auch die Reife früher Äpfel herangezogen, allerdings ist diese stark sortenabhängig, also nicht ohne Weiteres vergleichbar – ein Problem, das sich in geringerem Ausmaß auch im Frühjahr zeigt, wenn der ebenfalls sortenabhängige Beginn der Obstblüte als Grundlage für überregionale Vergleiche dient.

Die Apfelblüte als Merkmal des Vollfrühlings beginnt immer früher.  Foto: Anke Brosius
Der phänologische Frühsommer beginnt mit der Holunderblüte. Foto: Anke Brosius
Die Blüte der Sommerlinde markiert den phänologischen Hochsommer. Foto: Anke Brosius

Die Reife der Holunderfrüchte und die Blüte der Herbstzeitlosen sind die meistverbreiteten Merkmale für den Beginn des Frühherbstes, der phänologische Vollherbst beginnt mit der allgemeinen Laubverfärbung und der Fruchtentwicklung bei der Eiche. Die Eiche, speziell die Stiel­eiche (Quercus robur), nimmt im Vergleich zu anderen Laubbäumen im phänologischen Kalender eine Sonderstellung ein, denn sowohl Laubfärbung als auch Laubfall setzen bei ihr vergleichsweise spät ein. Entsprechend charakterisiert der allgemeine Laubfall den Spätherbst, bei der Eiche ist dies aber erst der Zeitpunkt der Laubverfärbung.

Der Vollherbst wird phänologisch durch die Laubfärbung charakterisiert. Foto: Anke Brosius

Lässt schließlich auch die Eiche ihre Blätter (zumindest teilweise) fallen, beginnt der Winter, der laut Nabu als der Zeitraum „zwischen dem Ende der Vegetationszeit und der Haselblüte“ definiert wird, womit der jahreszeitliche Kreislauf wieder von vorn beginnt.
Für die Gartenarbeit ist der phänologische Kalender insofern bedeutsam, als Angaben zu Aussaat-, Pflanz- und Ernteterminen, die sich ja auf die zu erwartende Witterung beziehen, nur Durchschnittswerte sind und abhängig von der jeweiligen Lage und vom Kleinklima regional um bis zu mehrere Wochen abweichen können. In manchen Gartenkalendern werden deshalb die monatlichen Kulturhinweise mit Austrieb, Blüte, Fruchtreife oder Blattfall entsprechender Leitpflanzen verbunden. Solche Angaben sind besonders für Gartenneulinge hilfreich, aber auch nach dem Umzug in eine andere (Klima-)Region. Aber auch an ein und demselben Ort kann der Frühjahrsbeginn von Jahr zu Jahr stark variieren, wobei neben der Beobachtung des Wetters eben auch das Verhalten von Pflanzen hilfreich ist, um keinen Rückschlag durch zu frühe Aussaat oder Pflanzung zu erleiden.
Ein weithin bekanntes Beispiel dafür, sich mit Gartenarbeiten am Stand der Vegetation zu orientieren, ist der Ratschlag, die Rosen zur Zeit der Forsythienblüte zu schneiden, weil dann nicht mehr mit starken Frösten zu rechnen ist. Der Zeitpunkt des Austriebs der Walnuss soll über noch zu erwartende Spätfröste Auskunft geben (wobei sich in den vergangenen Jahren leider gezeigt hat, dass Nussbäume auch irren können). Nicht direkt auf gärtnerische Handlungen, sondern auf das zu erwartende Sommerwetter bezieht sich der Erfahrungssatz: „Treibt die Esche vor der Eiche, gibt es eine große Bleiche; treibt die Eiche vor der Esche, gibt es eine große Wäsche“, dem kann dann höchstens noch mit einer veränderten Auswahl der Kulturpflanzen begegnet werden.
Über einen längeren Zeitraum geführt, zeigt der phänologische Kalender auch längerfristige Klimaverschiebungen auf. Schon in früheren Jahrhunderten, als es noch keine Temperaturmessungen gab, wurden in Chroniken neben herausragenden Wetterereignissen wie Dürren und außergewöhnlichen Kälte-, Wärme- oder Regenperioden auch außergewöhnliche Vegetationsereignisse wie reife Erdbeeren im Februar oder blühende Veilchen im Januar dokumentiert. Heute lassen sich Veränderungen des Klimas durch langfristige Beobachtung jährlich wiederkehrender Ereignisse, wie etwa der Apfelblüte, beobachten und dokumentieren.
So zeigen Aufzeichnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD), wie sich in Deutschland die phänologischen Jahreszeiten in der Zeit zwischen 1991 und 2019 im Vergleich zur Periode 1961 bis 1990 um etwa ein bis zwei Wochen nach vorne verschoben haben. Die Hasel­blüte, die bis 1990 im deutschlandweiten Durchschnitt noch auf den 3. März datierte, setzt nun durchschnittlich bereits um den 15. Februar herum ein. In Schleswig-Holstein begann die Blüte dieses Jahr schon am 6. Januar. Die durchschnittliche Blüte der Sommerlinde, die phänologisch den Beginn des Hochsommers markiert, verschob sich im gleichen Zeitraum vom 28. auf den 18. Juni.
Einzig die Naturvorgänge, welche den Spätherbst und Winter markieren, nämlich Laubverfärbung und Blattfall der Eiche, setzen zur gleichen Zeit wie früher oder sogar wenige Tage später ein. Insgesamt ist vor allem die Zeit der Vegetationsruhe, also der Winter, deutlich kürzer geworden, der Herbst hingegen länger.
Interessanterweise gibt es, wie eine Untersuchung der TU München bereits 2013 herausfand, auch Bäume, die durch kürzere, wärmere Winter nicht zu einem früheren, sondern sogar zu einem späteren Austrieb verleitet werden. Dazu gehören Buche, Eiche und Hainbuche sowie der nordamerikanische Zuckerahorn. Anders als Haselnuss, Birke oder Flieder, die auf Wärmereize mit einem früheren Austrieb reagieren, benötigen Erstere eine gewisse Anzahl an kalten Tagen („Kältesumme“), bevor sie ihren Winterschlaf beenden. Langfristig ansteigende Winter- und Frühjahrstemperaturen können also auch die gewohnte Reihenfolge der Laubentfaltung durcheinanderbringen.

Meteorologischer und astronomischer Kalender

Die geläufigen Termine für Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winteranfang richten sich nach dem astronomischen Kalender: Die Daten werden festgelegt durch die Sommersonnenwende, die Wintersonnenwende und die Tagundnachtgleichen im Frühjahr und Herbst. Im langjährigen Verlauf ändern sich diese Termine nur wenig, schwanken aber durch unsere Schaltjahresberechnung immer ein wenig hin und her. Im meteorologischen Kalender sind die Jahreszeitenanfänge feststehend und orientieren sich an der im langjährigen Durchschnitt vorherrschenden Witterung: Meteorologischer Frühlingsanfang ist am 1. März, Sommeranfang am 1. Juni, Herbst und Winter beginnen am 1. September beziehungsweise 1. Dezember.

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