Die akuten Fälle von Blauzungenkrankheit (BTV) sind seltener geworden. Trotzdem warnt Tierärztin Amelie Armbruster davor, sich in Sicherheit zu wiegen. In ihrer Region betreut sie mit einem großen Team Hunderte Rinderbetriebe und sieht genau, wo das Virus seine Spuren hinterlässt. Warum Missbildungen bei Kälbern zunehmen, wie Gnitzen das Virus auch im Herbst noch übertragen können und wieso Impfungen nicht nur vor BTV schützen, erklärt sie hier.
Während es in anderen Regionen Deutschlands einige Ausbrüche der Blauzungenkrankheit gibt, ist es in Schwaben derzeit vergleichsweise ruhig, was aktive Fälle der Blauzungenkrankheit (BTV) betrifft. „Aktuell haben wir kaum Virusnachweise und das ist sicher auch der guten Impfbereitschaft der Landwirte zu verdanken“, sagt Tierärztin Amelie Armbruster. Sie ist Fachtierärztin für Rinder sowie Oberärztin an der Tierklinik Gessertshausen. An der Tierklinik sind insgesamt 77 Tierärzte tätig, davon sind allein 19 Rindertierärzte, die Rinder haltende Betriebe im Umkreis von etwa 80 km betreuen. Doch Entwarnung hinsichtlich BTV will sie nicht geben: „Man darf sich nie zu sicher sein. Im Allgäu, an dem wir nahe dran sind, ist das Virus die ganze Zeit aktiv. Und Gnitzen werden vom Wind weitergetragen. Das Virus kann also jederzeit zu uns herüberkommen.“
Besonders im Fokus stehen derzeit nicht akute Krankheitsfälle, sondern die vermehrt auftretenden Missbildungen bei Kälbern, fast ausschließlich in ungeimpften Beständen. „Wir hatten Kälber mit schwersten Missbildungen, ohne Großhirn, mit zentraler Blindheit. Diese Tiere wussten nicht, wie man trinkt.“
Impfquote deutlich gestiegen
In den letzten zwölf Monaten wurden durch ihre Praxis rund 20.000 Kühe und Rinder grundimmunisiert. „Fast 50 Prozent der größeren Laufstallbetriebe haben geimpft, bei den kleineren sind es immerhin 25 bis 30 Prozent. Es ist zwar noch nicht die Hälfte, aber dafür, dass es aktuell keine Verbringungsvorteile für geimpfte Tiere gibt, finde ich die Quote gut“, betont die Tierärztin.
Ein Umdenken in der Region hinsichtlich der Impfbereitschaft folgte insbesondere auf den Umlauf von Videos aus Norddeutschland und Nordrhein-Westfalen, die die teils dramatischen Auswirkungen des Virus zeigten: Milchverluste, Totgeburten, hohe Tierverluste. „Betriebe mit über 1.000 Kühen hatten plötzlich keine Milch mehr und sie kam auch nicht wieder. Das hat viele Landwirte wachgerüttelt“, berichtet sie.
Im Frühjahr 2025 kamen dann deutlich mehr Betriebe, die ihre Tiere gegen BTV impfen wollten, und zwar genau in der Zeit, als der Impfstoff knapp war. „Wir haben eine Liste geführt und wer impfen wollte, kam darauf. Wir haben das nacheinander abgearbeitet, als die Impfstoffe endlich da waren, zum Glück noch rechtzeitig vor der Gnitzensaison.“ Die Impfkampagne lief deshalb regional sehr strukturiert ab.
Impfungen schützen gezielt
Ein Beispiel aus der Region zeigt, wie wichtig die Impfung ist: „Ein geimpfter Betrieb hatte später trotzdem einen Virusnachweis. Einige Kühe hatten Fieber, zwei waren schwerer krank, aber es gab keine Tierverluste, keine Aborte, keine Missbildungen und keinen dauerhaften Milcheinbruch. Das war ein großer Erfolg und spricht eindeutig für die Impfung.“ In ungeimpften Beständen dagegen sah es anders aus. Akute Fälle gab es wenige, nur ein Mutterkuhbetrieb hatte viele erkrankte Tiere. Besonders problematisch ist die Infektion der ungeborenen Kälber, die auch nach milden oder subklinisch verlaufenden Infektionen zur Geburt missgebildeter, zum großen Teil nicht lebensfähiger Kälber führte. Subklinische Verläufe und untypische Symptome beziehungsweise Krankheitsfolgen stellen alle Beteiligten vor besondere Herausforderungen. „Es gibt immer wieder Kühe, von man denkt: Die müssen das Virus gehabt haben. Eine Kuh schuhte komplett aus, bei anderen wurde die Milch zeitweise weniger, die Kühe fraßen nicht gut. Aber die Landwirte machen dann aus Kostengründen oder wegen des Aufwands oft keine Diagnostik.“ Sie vermutet, dass BTV über den Winter durch die Bestände gegangen ist, allerdings sehr langsam, weil ja nicht viele Gnitzen aktiv waren. Trotzdem könnte das dazu geführt haben, dass die Tiere sich schon früh mit dem Virus auseinandergesetzt haben und daher schwere Ausbrüche jetzt im Sommer ausblieben.
Durch solche Feldinfektionen entsteht kein Herdenschutz in den ungeimpften Beständen. Für verlässlichen Schutz sollte auch in solchen Herden geimpft werden. Dabei weist sie auf folgende Beobachtung hin: „Wir hatten einen Bestand mit hohen Zellzahlen, jedoch keinen Virusnachweis, keine Grippe. Doch die Tiere hatten immer wieder Nasenausfluss, sodass der Landwirt sich dann doch für die Grippeimpfung entschied. Nach der Grippeimpfung sanken die Zellzahlen deutlich. Das ist ein Beispiel für Paraimmunität, das Immunsystem wird durch jede Impfung angeregt.“
Vorsicht vor neuen Serotypen
Während BTV-4 und BTV-8 durch frühere Impfungen bekannt sind, zirkuliert derzeit BTV-3, wogegen keine Kreuzimmunität besteht. „Tiere, die früher gegen BTV-4 und BTV-8 geimpft wurden, zeigen keine belastbare Immunität gegen BTV-3. Ende 2024 wurde in den Niederlanden mit BTV-12 schon wieder ein für Mitteleuropa unbekannter neuer Serotyp nachgewiesen, das verunsichert viele. Glücklicherweise zeigt dieser Stamm bisher keine weitere Ausbreitung.“
Die Tierärztin hat Verständnis für die Landwirte: „Viele fragen sich: Was kommt denn bitte als Nächstes, wogegen sollen wir noch impfen?“ Amelie Armbruster sagt: „Die Impfung stimuliert das Immunsystem und stärkt die Abwehrlage generell.“ Und das ist gut für die Tiere, denn die nächsten Erreger stehen schon vor der Tür: Epizootische Hämorrhagie (EHD) und Lumpy Skin Disease (LSD) sind bereits in benachbarten Ländern aufgetreten. Die Virusübertragung erfolgt ebenfalls durch Gnitzen beziehungsweise Mücken als potenzielle Vektoren. Und auch das Schmallenberg-Virus kursiert noch in den Kuhbeständen, hier gibt es keine Impfung.
Maßnahmen gegen Gnitzen et cetera
Die Übertragung des Blauzungenvirus und anderer Krankheiten wie EHD und LSD erfolgt durch Gnitzen und Mücken. Stechende Insekten sind allgemein ein erheblicher Stressfaktor. Daher ist ein umfassendes Biosicherheitskonzept wichtig, besonders bei Weidehaltung. Armbruster empfiehlt Pour-on-Präparate mit Deltamethrin als ergänzende Maßnahme gegen stechende Insekten. „Einen echten Schutz vor schweren Krankheitsverläufen erreicht man nur durch die Impfung. Aber diese Präparate können unterstützen. Allerdings ist das Aufbringen gerade in der Mutterkuhhaltung mit sehr viel Aufwand verbunden. Aber die Insekten sind eben vor allem auf der Weide aktiv.“
Vorsorge für das kommende Jahr
Auch im Jahr 2026 bleibt die Impfung ein zentrales Element der Vorsorge. Die Grundimmunisierung erfolgt ab vier Wochen und besteht aus zwei Injektionen im Abstand von drei Wochen, Nachimpfung nach zwölf Monaten, idealerweise vor dem Sommer, da Hitze und Impfung keine gute Kombination sind. Der Impfstoff ist gut verträglich. Grundsätzlich ist bei Herdenimpfungen eine gute Planung wichtig, um unnötigen Stress zu vermeiden: ruhiger Umgang mit den Tieren bei solchen Impfungen, keine Klauenpflege, Transporte oder anderen Aufregungen direkt davor. Zu impfende Tiere sollten rechtzeitig aussortiert und im Fressgitter fixiert werden. In AMS-/Roboterbetrieben sollten nur wenige Personen ruhig arbeitend in den Stall gehen, um Stress zu minimieren.
„Fast alle Betriebe, die im letzten Jahr geimpft haben, machen auch die Nachimpfung, das ist sehr erfreulich“, so die Tierärztin. Wichtig ist ihr noch, die Tiere nicht in eine Infektion hinein zu impfen und die Impfung nicht direkt vor dem Melken durchzuführen. Außerdem sollte immer der ganze Bestand geimpft werden, nicht nur die Kühe. Als Minimum empfiehlt sie, alle Tiere ab dem Besamungsalter von zwölf Monaten zu impfen.
Ihr Appell zum Schluss: „Ich weiß, es wirkt manchmal so, als hätten wir hier keine Probleme mit der Blauzunge. Aber genau deswegen sage ich: Impft trotzdem. Wir wollen das Immunsystem stärken und vermeiden, dass die Tiere völlig naiv in den nächsten Seuchenzug hineingehen. Jede Impfung kostet Geld, aber ein totes Kalb leider auch. In der Regel hat man die Impfkosten schon wieder heraus, wenn man nur ein Tier nicht verliert. Dieses Kosten-Nutzen-Denken muss noch mehr in der Rindermedizin ankommen. Vorbeugung lohnt sich gerade, wenn es scheinbar ruhig ist.“
Biosicherheit
Ein Risiko für den Eintrag beziehungsweise die Weiterverbreitung des Blauzungenvirus besteht
• durch die Ausbreitung lebender, infizierter Gnitzen mit dem Wind
• durch Einschleppung infizierter Gnitzen mit Handel und Verkehr
• durch den Handel mit infizierten Tieren
Um allgemein einen Erregereintrag nach Möglichkeit zu verhindern, sind Etablierung und Einhaltung von Maßnahmen zur Biosicherheit auch im Rinder haltenden Betrieb sehr wichtig. Dazu zählen:
• betriebseigene Kleidung (Stiefel, Overalls) oder Einwegkleidung für Tierärzte und Besucher
• Hygieneschleusen mit getrennten Bereichen für unreine und reine Kleidung
• Hände vor und nach dem Stallbesuch gründlich waschen und desinfizieren, wozu Handwaschbecken, Mittel und Einwegtücher nötig sind
• Desinfektion von Fahrzeugen, Werkzeug und Geräten
• Trennung von gesunden und kranken Tieren
• Absonderung von Tieren mit unbekanntem Gesundheitsstatus (Quarantäne, Krankenstall)
• Minimierung des Kontakts zu fremden Tieren und Personen (Beschilderung: „Wertvoller Tierbestand, Betreten verboten!“)
• Schadnager- und Schädlingsbekämpfung
• Einzäunung des Betriebs
• Lagerung von Tierkadavern für die Abholung möglichst an der Grundstücksgrenze
• für jedes Kalb einen eigenen Nuckel und Tränkeeimer
• sorgfältige Dokumentation
Blauzungenkrankheit (BTV)
Die Blauzungenkrankheit ist eine durch das Bluetongue-Virus (BTV) verursachte Erkrankung bei Wiederkäuern. Übertragen wird das Virus durch Gnitzen, das sind blutsaugende Mücken der Gattung Culicoides. Besonders Schafe, aber auch Rinder, Ziegen, Neuweltkameliden und Wildwiederkäuer können klinisch erkranken.
Aktuell sind mindestens 24 Serotypen bekannt. In Deutschland wurde im Oktober 2023 erstmals seit Jahren wieder BTV-3 bei Schafen nachgewiesen, im Mai 2024 folgten die ersten Fälle bei Rindern. Seitdem gilt bundesweit der Status „frei von Blauzungenkrankheit“ als aufgehoben.
Aktuelle Serotypen in Europa:
BTV-3 in Deutschland und den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und Frankreich
BTV-4 in Österreich
BTV-8 in der Schweiz, Österreich, Frankreich und seit Oktober 2025 auch in Deutschland
BTV-12 in den Niederlanden (2024 erstmals nachgewiesen)
In Frankreich wurde auch das EHD-Virus (EHDV-8) nachgewiesen, LSD in Frankreich und Italien.
Risiko der Einschleppung von EHD und BTV-4 oder BTV-8 nach Deutschland:
Laut dem Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) ist das Risiko für eine Einschleppung durch Windverdriftung von Gnitzen in Kombination mit legalem Handel
• hoch: von Mai bis Oktober
• mäßig: im April und im November
• gering: von Dezember bis März
Schutz:
Aktuell sind drei Impfstoffe gegen BTV-3 in Deutschland zugelassen. Sie reduzieren sowohl die Krankheitssymptome als auch die Virusvermehrung nach einer Infektion. Die Impfung ist derzeit die einzige effektive Schutzmaßnahme gegen schwere Krankheitssymptome.




