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„Unsere Kunst dient keinem Zweck . . .“

„Christo und Jeanne-Claude. Paris. New York. Grenzenlos“ – ein Kunst- und Künstlerleben in gut 80 Werken
Von Iris Jaeger
Die Christo-und-Jeanne-Claude-Ausstellung auf der Museumsinsel Schloss Gottorf in Schleswig beginnt mit einem Modell des noch nicht realisierten Großprojekts „Mastaba“ in der Wüste von Abu Dhabi, dahinter ist der „Wrapped Beetle“ zu sehen, ein verhüllter VW-Käfer Jahrgang 1961. Fotos: Iris Jaeger

Er war der Kreative und ein klassisch ausgebildeter Maler, sie seine rechte Hand, Planerin, Mitorganisatorin und Projektumsetzerin – zusammen prägten sie als Künstlerpaar die Kunstgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts. Vor allem mit ihren Großprojekten wie dem verhüllten Reichstagsgebäude in Berlin oder dem verpackten Triumphbogen in Paris sorgten sie für Aufsehen, Diskussionen und Emotionen, auch nach ihrem Tod: Christo und Jeanne-Claude. In einer einzigartigen Ausstellung auf der Museumsinsel Schloss Gottorf in Schleswig lässt sich bis zum 3. September ihr künstlerisches Werden und Wirken entdecken.

Eine Ausstellung, die in vielerlei Hinsicht besonders ist: „Es ist das erste Mal überhaupt, dass im Norden Christo und Jeanne-Claude in einer großen Werkschau zu sehen sind. Das gab es weder in Hamburg noch in Schleswig-Holstein bislang zu sehen“, erklärte Kurator Dr. Ingo Borges zur Eröffnung der Ausstellung. Diese ist normalerweise im Kunstpalast Düsseldorf beheimatet und wird zum vierten Mal in einem musealen Kontext gezeigt. Und: „Zum ersten Mal wird das in Frankreich entstandene Frühwerk von Christo im Kontext mit Arbeiten internationaler Weggefährten wie Arman, Lucio Fontana, Yves Klein und anderen präsentiert.“

Kunsthistoriker und enger Freund von Christo und Jeanne-Claude, Matthias Koddenberg, Leihgeber und ebenfalls Freunde des Künstlerpaares, Thomas und Ingrid Jochheim mit Dr. Thorsten Sadowsky, Vorstand Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen und Kurator Dr. Ingo Borges (v. li.)

Ermöglicht wurde diese Ausstellung durch die Unterstützung der Hauptleihgeber Ingrid und Thomas Jochheim, die die weltweit umfangreichste Sammlung des Künstlerpaares besitzen und mit Christo und Jeanne-Claude über viele Jahre befreundet waren. Christo wurde am 13. Juni 1935 als Christo Wladimirow Jawaschew in Gabrowo, Bulgarien, geboren. Jeanne-Claude kommt am selben Tag als Jeanne-Claude Marie Denat in Casablanca, Marokko, auf die Welt. Christo studierte an der Kunstakademie in Sofia Malerei, Bildhauerei, Architektur und angewandte Kunst.

1956 flüchtete er nach dem Ungarischen Volksaufstand aus Bulgarien. Über Wien und Genf kam er nach Paris, wo er sich 1958 niederließ. Mit Porträtaufträgen bestritt Christo seinen Lebensunterhalt, die ihn unter anderem in das Haus der Eltern von Jeanne-Claude führten. Dort porträtierte er Jeanne-Claudes Mutter Précilda de Guillebon. Christo und Jeanne-Claude wurden 1960 ein Paar. Christos Jahre in Frankreich waren geprägt durch seine Auseinandersetzung mit den Stilen der Klassischen Moderne. Zu den vielen Künstlern, die ihn inspirierten, gehörten unter anderem Jean Dubuffet, Lucio Fontana, Helena Vieira da Silva oder Alberto Burri sowie eine Gruppe von Mitstreitern, die seinerzeit vom Kunstkritiker Pierre Restany als Nouveaux Réalistes bezeichnet wurde. Zu der Gruppe gehörten Künstler wie Yves Klein, Arman, César oder Niki de Saint Phalle, von denen ebenfalls Werke in der Ausstellung zu sehen sind. Christo wurde aber nie ein vollständiges Mitglied, was unter anderem von Restany verhindert wurde, dem Christos Arbeiten zu „künstlerisch“waren.

Verhülltes Münztelefon; mit dem Verpacken von Gegenständen fand Christo zu seiner eigenen künstlerische Ausdrucksweise und Sprache

Doch trug die vielfältige Umgebung dazu bei, dass Christo eine eigenständige künstlerische Sprache entwickelte. Dazu gehörten auch das Verhüllen und Verpacken kleinerer Gegenstände, wie Zeitschriften, Münztelefon, Wandleuchter oder Dosen und Ölfässer. Das Verpacken erfolgte jedoch nicht willkürlich, sondern nach formalen Grundsätzen. So wie ein Maler seine Farben komponiert, arrangierte Christo präzise die Schnüre und arbeitete an der Form seiner Verpackungsskulpturen. Neben dem Verpacken faszinierte ihn ebenfalls schon früh die zylindrische Form von Ölfässern. Bereits kurz nach seiner Ankunft in Paris begann er, mit den Fässern zu arbeiten, sie zu stapeln, in Gruppen anzuordnen, wobei er einzelne Fässer verhüllte und die Oberfläche übermalte. Diese Faszination spiegelt sich in der von Christo und Jeanne-Claude seit 1977 geplanten, bis dato unverwirklichten Großskulptur „Mastaba“ in der Wüste von Abu Dhabi wider.

Die Mastaba ist eine altägyptische architektonische Vorform der Pyramide. Würde das Projekt realisiert, entstünde mit 410.000 vor Ort produzierten, verschiedenfarbigen Ölfässern die größte zeitgenössische Skulptur der Welt, die aus dem Weltraum sichtbar wäre. Es wäre zudem das einzige Großobjekt des Künstlerpaares, das auf Dauer angelegt würde.

Kleiner im Umfang, aber nicht weniger spektakulär war die erste größere Arbeit der beiden in Paris. Der Bau der Berliner Mauer im August 1961 veranlasste Christo und Jeanne-Claude dazu, am 27. Juni 1962 die Rue Visconti im Pariser Stadtteil Saint-Gemain-des-Près unerlaubterweise, spontan mit einer Wand aus Ölfässern zu verschließen, die sie mit „Rideau de fer“ (Eiserner Vorhang) betitelten.

Mit dem Umzug nach New York 1964 schlugen die beiden einen neuen künstlerischen Weg ein. Es entstanden die ersten Ideen zur Verpackung ganzer Bauwerke in Europa und den USA. Alle Projekte wurden akribisch geplant, von Christo gezeichnet in Collagen und Druckgrafiken lebendig, die er mit Plänen, Fotografien und Materialproben kombinierte. Die Vorbereitungen, Genehmigungen, Verhandlungen dauerten oft Jahrzehnte. Die Idee zum verhüllten Reichstag entstand bereits Anfang der 1970er, realisiert wurde sie erst 1995. Die Präsentation der Werke dagegen dauerte nur wenige Tage und sorgte für viele Diskussionen um Sinn und Unsinn.

Der verhüllte Reichstag in Berlin sorgte im Vorfeld für Ablehnung und Diskussionen, nach der Vollendung überwiegend für Begeisterung.
Foto: Christo and Jeanne-Claude Foundation

„Viele finden die Irrationalität, die Absurdität unserer Projekte zum Verrücktwerden. Das ist genaus der Grund, warum wir sie machen“, lautet ein Zitat des Paares. Was blieb, waren die Zeichnungen und die Fotografien unter anderem von Fotograf Wolfgang Volz als Erinnerungen, mit denen sich das Paar finanzierte. Ansonsten nahmen sie kein Geld an, weder als Spende noch in sonstiger Form, denn sie wollten zeitlebens künstlerisch frei sein, ohne jemandem ein Mitspracherecht einräumen zu müssen. 24 Großprojekte konnte das Paar verwirklichen, für 46 gab es keine Genehmigung. Der Weg war ihr Ziel. Ihre Kunst selbst verfolgte kein Ziel, beinhaltete keine Botschaften: „Sie machten es für sich selbst und nur, weil sie es sehen wollten. Ihre Werke waren Emotion pur“, erinnert sich Ingrid Jochheim. „Unsere Kunst dient keinem Zweck. Sie gehorcht keiner Moral. Sie ist absolut frei“, so Christos und Jeanne-Claudes Devise. Weitere Informationen unter: schloss-gottorf.de

Christo und Jeanne-Claude vor dem verhüllten Reichstag in Berlin, 1995
Foto: Christo and Jeanne-Claude Foundation
„Rideau de fer“, der Eiserne Vorhang, so nannten Christo und Jeanne-Claude ihre unerlaubt aufgestellte Wand aus Ölfässern in Paris, 1962
Verpackte Zeitungen und Zeitschriften
Zu den Künstlern in Paris, die Christo inspirierten, gehörte auch Lucio Fontana, der seine Leinwände mit Schlitzen oder Löchern versah. 
Arman: „Dans les westerns, la nuit“, eine Assemblage mit halbierten Emailkannen in einem Holzkasten
„Wrapped Beetle“, ein verhüllter VW-Käfer Jahrgang 1961
Foto: Christo and Jeanne-Claude Foundation
„Die Tore“, verwirklicht im Central Park, New York City, 2004
Ein Jahr nach dem Tod von Christo 2020, wurde das Verhüllen des Triumphbogens in Paris realisiert. 
Zu den nie realisierten Verhüllungsprojekten gehörte der Kölner Dom, aber die Idee dazu war bereits vorhanden.


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