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Nach den Protesten muss es weitergehen

Editorial zu den Bauerndemos
Von Mechthilde Becker-Weigel
Demonstration auf die herzliche Art. Foto: Anna Krohn

Der Deutsche Bauernverband (DBV) hat eine positive Bilanz zum Auftakt der Aktionswoche gegen die Sparpläne der Bundesregierung in der Landwirtschaft gezogen. Auch BVSH-Präsident Klaus-Peter Lucht zeigte sich am Dienstag zufrieden mit dem Start der Protestwoche in Schleswig-Holstein. Viele Landwirtinnen und Landwirte hätten ein deutlich wahrnehmbares Zeichen gesetzt, dass die Grenze der Belastbarkeit durch die geplanten Steuererhöhungen überschritten wird. „Die Landwirtinnen und Landwirte erlebten bei den Traktordemonstrationen landauf und landab viel Zustimmung und Rückhalt in der Bevölkerung“, machte Rukwied deutlich.

Es gibt aber auch weniger positive Bilder. Bei einer Demonstration am vorigen Donnerstag in Schlüttsiel wurde Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck (Grüne) bedrängt und konnte die Fähre nicht verlassen. Auch waren bei Demonstrationszügen wieder nationalistische und geschmacklose Symbole wie Galgen zu sehen. Solche Bilder und Nachrichten stehen bei allen Sendern sofort an erster Stelle und diskreditieren die gesamte Aktion. So konnte es nicht lange dauern, bis der Verfassungsschutz zitiert wurde, dass angesichts der Bauernproteste ein anhaltendes Interesse von Extremisten zu erkennen sei, die die Proteste für sich zu vereinnahmen drohen. Auch die Regierungsspitze hat sich kritisch geäußert. Allen voran Vizekanzler Habeck in einem minutenlangen Video. Sein Kommentar der Proteste wurde zur moralischen Lehrstunde über die drohende Vereinnahmung durch extreme Randgruppen. Habeck sprach von „Umsturzfantasien“ und: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Extremisten diese Verunsicherung kapern“. Als seien die Bauernproteste ein Ausdruck von Verunsicherung.

Die Bauern wissen genau, warum sie auf die Straße gehen: 21,48 ct sind der Steueranteil, den Agrar- und Forstbetriebe pro Liter Diesel gegen Nachweis erstattet bekommen. Und genau diese 21,48 ct haben das Fass zum Überlaufen gebracht. Das zeigt, wie groß der Druck auf dem Kessel ist, durch überbordende Bürokratie und Ordnungsrecht, zunehmende Restriktionen, Wettbewerbsverzerrungen, fehlende rechtliche Entscheidungen und ja, mitunter durch die Behandlung als gesellschaftliche Randgruppe.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) kritisierte beim Dreikönigstreffen seiner Partei scharf die Form der Proteste im Agrarsektor, den er als „hochsubventioniert“ ansieht. Er hielt die Blockademaßnahmen für „unverhältnismäßig“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, Kritik sei Teil der Demokratie. Aber der Zweck heilige nicht alle Mittel. Deshalb gehe es, nachdem Teile der Kürzungen beim Agrardiesel nach Protesten wieder zurückgenommen wurden, jetzt darum, Maß und Mitte zu halten. Ehrlich machte sich Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), der in einem Interview zugab, in der Vergangenheit hätten auch die Grünen erlebt, dass die eine oder andere Demonstration von Trittbrettfahrern unterlaufen wurde. „Ein Hase sollte den anderen nicht dran erinnern, dass er lange Ohren hat“, so Özdemir. Man müsse die Bauern nicht belehren.

Die Bäuerinnen und Bauern wehren sich dagegen, in eine extreme Ecke gestellt zu werden. An vielen Fahrzeugen wurden Aufkleber angebracht mit der Aufschrift „Landwirtschaft ist bunt und nicht braun“, um sich von rechtsextremen Positionen zu distanzieren. Die meisten Bauern lehnen es schlichtweg ab und haben kein Interesse daran, dass sich die öffentliche Debatte hin zu den extremen Randgruppen verschiebt. Das politische System hat seine Funktionsfähigkeit gezeigt und hat reagiert. Das grüne Nummernschild bleibt steuerfrei. Zumindest so weit hatte der Protest der Bauern Erfolg. Ob und wieweit die Subvention auf Agrardiesel abgeschmolzen wird, wird der jetzt beginnende parlamentarische Prozess zeigen.

Die Antwort auf die Frage, „Was kommt nach der Protestwoche?“, kann nur heißen: beruhigen, schnellstens den Dialog suchen und sich wieder sachlich annähern. Einen ersten Vorschlag machte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), eine Kommission mit allen relevanten Interessenvertretern zur Zukunft der Landwirtschaft einzuberufen, als Agrar-Allianz, um einen Gesellschaftsvertrag für die heimische Landwirtschaft zu schließen.

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