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Wenn die Schnabelspitze dranbleibt

Erster Erfahrungsbericht eines Modellprojektes in der Putenhaltung
Von Pia Niewind, Florian von Rüden, Landwirtschaftskammer NRW
Pute mit einem intakten Schnabel. Fotos: #Pute@Praxis

Sechs engagierte Landwirtinnen und Landwirte haben sich im Modell- und Demonstrationsvorhaben Tierschutz (MuD Tierschutz) #Pute@Praxis der Herausforderung gestellt und in ihren Ställen unter optimierten Haltungs- und Managementbedingungen Putenhennen mit intakten Schnäbeln eingestallt. Die sechs Praxisbetriebe liegen im gesamten Bundesgebiet verteilt.

Zwei der Betriebe wirtschaften nach alternativen Anforderungen (Naturland und Neuland). Die anderen vier werden konventionell bewirtschaftet. Nachdem zwei Durchgänge auf dem Versuchs- und Bildungszentrum Landwirtschaft (VBZL) Haus Düsse in Bad Sassendorf in Nordrhein-Westfalen stattgefunden haben, ist das Projekt im Januar 2022 in die Praxisphase gestartet. Nun, ein Jahr später, konnten auf zwei Betrieben bereits erste Ergebnisse über die Durchgänge mit intakten Schnäbeln gesammelt werden.

Erhöhte Ebene als Beispiel eines Strukturierungselements

Im Rahmen der Praxisphase wurde mit jedem Landwirt ein betriebsindividuelles Maßnahmenpaket entwickelt, welches alle vom Projekt angedachten Optimierungsmaßnahmen enthält, die sowohl Strukturierungs- und Beschäftigungselemente und ein angepasstes Lichtmanagement im Stall als auch eine angepasste Fütterung sowie ein abgestimmtes Impfmanagement beinhalten. Auch ist ein Notfallkoffer mit zusätzlichen Maßnahmen vorzuhalten, der beim Auftreten von Verhaltensproblemen eingesetzt wird, um schnell reagieren zu können.

Die zwei alternativen Betriebe halten bereits seit Jahren Puten mit intakten Schnäbeln. Hier wurde deshalb erst ein Durchgang, geführt nach Betriebsstandard, mitbegleitet, um den Status quo in Bezug auf die Haltung schnabelintakter Puten zu erfassen. Dieser konnte bereits auf beiden Betrieben abgeschlossen werden. Im zweiten und dritten Durchgang werden dann die ausgewählten Projektmaßnahmen zusätzlich eingesetzt. Beide Betriebe befinden sich derzeit im dritten und somit letzten Projektdurchgang.

Die vier teilnehmenden konventionellen Betriebe haben in einem ersten, vom Projekt begleiteten Durchgang die ausgewählten Maßnahmen vorerst bei Putenhennen mit gekürzten Schnäbeln getestet. Ziel ist es, in einem zweiten und dritten Durchgang Putenhennen mit intakten Schnäbeln einzustallen. Zwei der konventionell wirtschaftenden Betriebe konnten bereits Durchgang 1 und Durchgang 2 abschließen und erste Erfahrungen mit der Haltung schnabelintakter Putenhennen sammeln.

Ergebnisse Praxisphase Betrieb A

Der Betrieb A verfügt über zwei baugleiche Hennenställe mit jeweils 5.400 Tieren. In Durchgang 1 wurden beide Ställe mit schnabelgekürzten Tieren eingestallt. Stall 1 wurde mit Projektmaßnahmen ausgestattet, Stall 2 wurde als Referenz nach dem betriebsindividuellen Management geführt. Im zweiten Durchgang wurden in Stall 1 schnabelintakte Tiere plus Projektmaßnahmen eingestallt, während der zweite Stall weiterhin mit schnabelgekürzten Tieren und dem üblichen Management geführt wurde.

In der Tabelle sind die Gesamtverluste der beiden Durchgänge, aufgeteilt nach Stall, dargestellt. Im ersten Durchgang lagen die Gesamtverluste von Stall 1 bei 4,05 %, davon konnten 1,12 % auf Beschädigungspicken zurückgeführt werden. In Stall 2 zeigte sich ein ähnliches Bild mit Gesamtverlusten von 4,23 %, davon auf Beschädigungspicken zurückzuführen waren 0,98 %. Im zweiten Durchgang lagen die Verluste in der Herde mit den intakten Schnäbeln bei 8,65 %. Davon waren 4,5 % eindeutig auf das Beschädigungspicken als Abgangsursache zurückzuführen. Im parallellaufenden Stall mit gekürzten Schnäbeln lagen die Gesamtverluste hingegen bei 3,89 %, wovon 0,70 % bedingt durch das Beschädigungspicken waren.

Somit lagen die Verluste auf Betrieb A bei den Puten mit intakten Schnäbeln im Vergleich zu den drei anderen Durchgängen um den Faktor 2 bis 2,2 höher.

Ergebnisse aus Betrieb B

Bei Betrieb B steht ein Hennenstall mit rund 3.460 eingestallten Tieren zur Verfügung. Auch auf diesem Betrieb wurde der erste Durchgang mit schnabelgekürzten Tieren plus Projektmaßnahmen durchgeführt. Wie in der Tabelle ersichtlich, lagen die Verluste in diesem Durchgang bei 2,37 %, davon wurden 0,29 % durch Beschädigungspicken verursacht. Im zweiten Durchgang mit der Einstallung schnabelintakter Tiere lagen die Gesamtverluste bei 3,81 %, wovon 2,51 % auf Beschädigungspicken zurückzuführen waren.

Im Betrieb B lagen die Verluste bei den schnabelintakten Tieren somit um den Faktor 1,6 höher als in dem zuvor begleiteten Durchgang mit schnabelgekürzten Tieren.

Die ersten Ergebnisse der zwei Betriebe sind mit den Ergebnissen der zwei Durchgänge auf dem VBZL Haus Düsse vergleichbar. Dort waren die Verluste bei den schnabelintakten Tieren im ersten Durchgang um den Faktor 2,2, im zweiten Durchgang um den Faktor 2,4 höher.

Risikozeiträume erkennbar

Ein Blick auf die täglich erfassten Verluste, die aufgrund von massiven Pickverletzungen in Betrieb A und B entstanden sind, zeigt, dass die Haltung der Tiere gerade zum Ende der Mast deutlich schwieriger wird und Verluste vermehrt in diesem Zeitraum auftreten. Dieser Trend ist sowohl bei den schnabelintakten als auch bei den schnabelgekürzten Herden erkennbar, obwohl das Ausmaß bei der Haltung von Puten mit intaktem Schnabel erheblich größer ist (Vergleich Abbildung 1 und 2).

Eine Beruhigung der Tiere war mit den im Projekt geprüften Optimierungsmaßnahmen und trotz des Einsatzes des Notfallkoffers gerade zum Ende der Mast nicht mehr möglich und konnte nur nach einer durch den Tierarzt angeordneten deutlichen Lichtreduktion erreicht werden. Ein Anheben der Lichtintensität führte zu erneuten Pickausbrüchen und war daher auf beiden Betrieben nicht mehr möglich.

Separationsabteil im Stall

Neben den eingesetzten Optimierungsmaßnahmen wurde bereits zur Einstallung ein Separationsabteil im Stall eingerichtet, um verletzte Tiere, die Aussicht auf Genesung haben, aus der Herde zu nehmen. Ein Separationsabteil ist bei der Haltung von Puten mit intakten Schnäbeln unerlässlich. Im Rahmen des Projekts notierten die Landwirte die Anzahl der Tiere, die täglich in das Separationsabteil verbracht wurden.

Betrieb A hat bei der Herde mit intakten Schnäbeln im Verlauf der Mast insgesamt 1.546 Tiere separiert. Das sind knapp 29 % der gesamten Herde. Im Vergleich zur parallellaufenden Herde mit gekürzten Schnäbeln (331 Tiere, 6,1 %) waren das 4,7-mal so viele separierte Tiere. Betrieb B hat mit insgesamt 272 separierten Tieren 7,9 % der gesamten Herde separiert.

Grundsätzlich waren in Risikozeiträumen Kontrollgänge bis zu sechs Mal am Tag notwendig, um verletzte Tiere nach Möglichkeit rechtzeitig aufzufinden und schwere Verletzungen zu verhindern. Auch musste das Separationsabteil mehrmals vergrößert werden, da Verletzungen von Tieren häufig zeitgleich auftraten. Die Anzahl der Tiere, die in ein Separationsabteil verbracht wurden, nahm auf beiden Betrieben aber vor allem zum Ende der Mast deutlich zu.

Beispiel eines Separationsabteils auf einem der teilnehmenden Betriebe im MuD-Tierschutzprojekt #Pute@Praxis

Generell zeigen die ersten Erfahrungen aus der Praxisphase, dass die Haltung von Putenhennen mit intaktem Schnabel eine große Herausforderung ist. Wenn die Schnabelspitze intakt bleibt, hat dies trotz der hier unter konventionellen Vorgaben geprüften optimierten Haltungsbedingungen und des angepassten Managements diese Folgen:

Notwendigkeit eines permanent verfügbaren Notfallkoffers mit diversen Materialien zur herdenindividuellen Ablenkung der Tiere

• Tierverluste, die etwa das Doppelte betragen

hohe Anzahl verletzter Tiere

deutlich höherer Arbeitseinsatz

zusätzliche Kontrollgänge (bis zu sechs Mal am Tag)

aufwendige Separationsmaßnahmen

eine Möglichkeit der Verdunklung, wenn das Pickgeschehen nicht mehr mit anderen Maßnahmen eingrenzbar ist

Fazit

Die Einstallung von Putenhennen mit intaktem Schnabel bedeutet ein hohes Maß an aufmerksamer und gewissenhafter Tierbetreuung sowie ein situationsabhängiges und schnelles Reagieren. Die Erfahrungen zeigen zwar, dass die Tiere die angebotenen Haltungselemente gut annehmen und nutzen und auch der Notfallkoffer sich gerade in kritischen Zeiträumen bewährt, aber mögliche Pickausbrüche mit schweren Verletzungen und erhöhter Mortalität – gerade zum Ende der Mast – derzeit nicht verhindert werden können. Hier wäre die verkürzte Mast eine mögliche Alternative, die im Rahmen des Projekts auch in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit geprüft werden soll.

Generell hat sich gezeigt, dass die Einrichtung eines Separationsabteils unerlässlich ist. Tiere mit kleinsten Verletzungen müssen bereits frühzeitig von der Herde getrennt werden. Ein intensives Separationsmanagement kann die Anzahl der schwerwiegenderen Verletzungen minimieren und bei einzelnen Tieren sogar verhindern. Die hier im Projekt durchgeführten Separationsmaßnahmen haben jedoch zu einem großen Mehraufwand geführt, der ohne zusätzliche Arbeitskräfte auf Dauer nicht beizubehalten wäre und daher unter den jetzigen Rahmenbedingungen nicht praxistauglich ist.

Ein nicht zu vernachlässigender Punkt ist zudem die hohe Frus­trationstoleranz, die die Tierhalterinnen und -halter bei der Einstallung schnabelintakter Tiere mitbringen müssen. Die teils starken Verletzungen der Tiere, die trotz der oben genannten Punkte auftreten, bewirken eine zusätzliche starke Belastung.

Das Projekt ist Teil der Modell- und Demonstrationsvorhabens (MuD) Tierschutz im Bundesprogramm Nutztierhaltung. Die Förderung erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Projektträger ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE).

Weitere Autoren: Dr. Daniel Werner, Landwirtschaftskammer NRW; Dr. Birgit Spindler, Marie Kramer, Karolin Skiba, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover; Dr. Petra Thobe, Mandes Verhaagh, Thünen-Institut; Dr. Inga Tiemann, Universität Bonn; Heinrich Bussmann, Geflügelwirtschaftsverband NRW

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