Viva la Evolution!

Kommentar zu Disruption und Innovation in der Agrarbranche
Von Sönke Hauschild, Bauernverband Schleswig-Holstein
Politik sollte die Innovationskraft der Landwirtschaft fördern. Foto: Imago

Disruption – Zerstörung – ist das Zauberwort, wenn es um die Lösung der anstehenden Herausforderungen geht. Disruptionsdruck entsteht normalerweise, wenn Techniken, Systeme oder Denkweisen ihr Haltbarkeitsdatum überschritten haben. So reagieren wir auf den Ukraine-Krieg mit einer Zeitenwende. Auch der Klimawandel erfordert nach Ansicht des Wirtschaftsministers Dr. Robert Habeck (Grüne) eine Disruption, und zwar im Energiesektor, wolle man die Klimaziele halten. Auch die Landwirtschaft solle sich disruptiv „agrarwenden“. 

Revolution ist angesagt, ohne Rücksicht auf die Kosten. Nun ist die reine Zerstörung kein Zukunftsmodell. Zukunftsfähig wird sie erst durch die ergänzende Innovation: Alte Geschäftsmodelle werden nicht aktiv zerstört, sondern durch neue verdrängt. Die Steinzeit gilt als der längste Abschnitt der Menschheitsgeschichte. Sie endete bekannterweise nicht, weil es keine Steine mehr gab, sondern weil die innovativen Werkstoffe wie Bronze und Eisen neue Möglichkeiten eröffneten. Die Alternativen waren einfach besser. 

Dieses Element einer Disruption – das Schöpferische an der Zerstörung, wie der Ökonom Joseph Schumpeter es nannte – wird in der politischen Diskussion schnell vergessen. Stattdessen scheint die aktive, vorschnelle Zerstörung das politische Bild einer Disruption zu prägen, verbunden mit der vagen Hoffnung, dass etwas Neues entstehen möge. Das ging der ehemaligen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) mit der Beendigung der Atomkraft nicht anders, als es Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) mit der offenbar angestrebten Entsorgung der konventionellen Landwirtschaft ergehen wird. 

Der Minister zeigt: Politik kann Disruption, innovativ ist sie dabei selten. Innovativ sind Wirtschaft und Landwirtschaft – wenn die Anreize stimmen. Sie gestalten den Wandel, statt Opfer der Entwicklung zu werden, folgen dabei aber eher einem evolutionären Ansatz: Sie verbessern Prozesse und Produkte. Das Lernen voneinander zwischen ökologischer und klassischer Landwirtschaft ist ein Beispiel dafür. 

Die Zukunftskommission Landwirtschaft und der Borchert-Plan sind herausragende Beispiele für ein innovativ-disruptives Lobbying. Landwirtschaft und Umweltschützer machen Angebote, statt zu bremsen. Das ist neu und entspricht den Herausforderungen der Zeit. Statt zu mauern, wird diskutiert, bis der Konsens allen wehtut. Allein Greenpeace verharrt in der Wagenburg krawalliger Kampagnen. Ähnliches Verhalten muss man heute der Ampel-Koalition vorwerfen. Sie scheint mit dem innovativen Ansatz nicht zurechtzukommen. 

Nun ist die Aufgabe der Politik nicht Zerstörung, wohl aber Störung, um Veränderungen anzuschieben. Störung muss aber konstruktiv sein. Allein Türen zu schließen, wie in Bezug auf die Tierhaltung, reicht nicht. Man muss andere Türen öffnen und den Landwirten die Entscheidung überlassen, durch welche Tür sie gehen. Niedersachsen macht es vor, mit einer Ringelschwanzprämie für Schweinehalter und einer Diversifizierungsförderung bei Aufgabe der Tierhaltung. 

Offenbar erfordert es in der Politik heute mehr Mut, kleine gemeinsame Schritte zu gehen, als große Zeitenwenden auszurufen. Doch Disruption soll Veränderung anregen, nicht Stillstand erzwingen. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Politik auf das Setzen von Rahmenbedingungen beschränkt und die Reaktionsmöglichkeit der Betroffenen nicht durch Detailregelungen einschränkt. Investitionen in die Zukunft brauchen Vertrauen, Vertrauen gründet sich auf Verlässlichkeit. Sonst laufen die Landwirte den politischen Disruptoren davon – Revolution beendet. Berlin muss seine Politik ändern: Viva la Evolution!

Sönke Hauschild. Foto: bb
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