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Rückblick auf ein bewegtes Leben und Wirken

Friedrich Wilhelm Lübke: Seefahrer – Landwirt – Autor – Landrat – Ministerpräsident
Von Rudolf Meisterjahn
Bundespräsident Theodor Heuss (li.) und Ministerpräsident Friedrich Wilhelm Lübke bei der Kieler Woche Fotos: privat

Vor rund 70 Jahren verstarb am 16. Oktober 1954 Friedrich Wilhelm Lübke (CDU). Fünf Tage vorher hatte er alle öffentlichen Ämter abgegeben. Der 71. Todestag ist Anlass für einen Rückblick auf das bewegte Leben und Wirken des ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein.

Friedrich Wilhelm Lübke stammte nicht aus Schleswig-Holstein, sondern aus dem kleinen Dorf Enkhausen (heute Ortsteil der Stadt Sundern) im südlichen Westfalen. Er zählt zu den Menschen, die besondere Weichenstellungen ausgelöst und Entwicklungen für Schleswig-Holstein geprägt haben. Sein Leben ist farbiger kaum vorstellbar. Insofern ist seine Vita mit den Stationen vom Seefahrer zum Bauern und Ministerpräsidenten eine sehr vereinfachte Kurzfassung.

Porträt von Friedrich Wilhelm Lübke
Foto: Peter Bouserath, Konrad Adenauer Stiftung

Friedrich Wilhelm Lübke war der ältere Bruder des zweiten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Heinrich Lübke. Als er am 25. August 1887 geboren wurde, hatten seine Eltern eine kleine Landwirtschaft. Der Vater arbeitete zusätzlich als Schuhmacher, um die Existenz der Familie sicherzustellen. Nach den ersten Volksschuljahren ermöglichte ihm sein Patenonkel den Besuch eines Gymnasiums. Mit zwölf Jahren riss er, wenn auch erfolglos, aus dem Internat aus. Zwei Jahre später war der Ausreißversuch erfolgreich.

Begeisterter Seefahrer

So verließ er als knapp Vierzehnjähriger die Schule und heuerte als Schiffsjunge auf der Brigg „Heinrich“ einer Bremer Reederei an. Der harte Dienst als „Moses“, so nannte man den Küchenjungen auf einem Segelschiff, bremste in keiner Weise den jungen Bauernsohn. Er wurde Vollmatrose und lernte bald alle Weltmeere kennen. Wegen der schlechten Essensversorgung beteiligte er sich vor Mauritius an einer Meuterei. Mehr als zehn Jahre bekam die Familie nur über gelegentliche Postkarten ein kleines Lebenszeichen. Mit der Viermastbark „Valls of Gary“ erlebte er am 22. April 1911 in der Irischen See einen Schiffsuntergang. Lübke zählte zu den geretteten Seeleuten. Es wird berichtet, dass die Familie in Enkhausen einen Bittgottesdienst feiern ließ, weil er als verschollen galt. Als er 1912 nach elf Jahren auf See zum ersten Mal seine Familie besuchen konnte, war der Vater längst verstorben († 1902).

Friedrich Wilhelm Lübke war ein begeisterter Seefahrer. Nach seiner Matrosenausbildung machte er 1911 das Steuermannspatent und wurde 1913 Kapitän auf Großer Fahrt. Eine Zäsur bildete der Beginn des Ersten Weltkriegs. Friedrich Wilhelm Lübke kam zur Kaiserlichen Marine, war Schiffsoffizier auf dem Schlachtschiff „Friedrich der Große“ und wurde später Kommandant auf einem U-Boot. Das Kriegsende 1918 mit der Auflösung der Kriegsmarine und dem Rückgang der zivilen Schifffahrt läutete eine grundlegende Änderung seines Lebens ein. Eine kurze Zeit diente er noch als Kapitän in der dänischen Küstenschifffahrt. Nach seiner Heirat im Jahr 1920 und einer ersten Tätigkeit in der Meierei seines Schwiegervaters konnte er 1922 als junger Vater mit seiner Frau einen kleinen Bauernhof südlich von Flensburg erwerben.

Landwirt und Schriftsteller

Der 21 ha große Geesthof, richtigerweise müsste man sagen „der kleine Geesthof“, wurde Zentrum eines neuen Lebensabschnitts für die Familie Lübke. Weil die kleine Landwirtschaft auf den mageren Geestböden mit 16 bis 25 Bodenpunkten nur schlecht die größer werdende Familie ernähren konnte, nahm Lübke noch die Stelle als Kreisgeschäftsführer beim damaligen Bauernverein an. Vielleicht waren die Umstände auf dem kleinen Hof der Impulsgeber für Lübkes langjähriges Engagement für die kleinen und mittleren Höfe. Unter seiner Leitung entstanden 500 bäuerliche Siedlerstellen.

Es war sicher der bescheidenen Landwirtschaft auf dem kleinen Hof geschuldet, dass er zum Schriftsteller wurde. Über seine Seemannszeit verfasste er abends nach der Hofarbeit mehrere Abenteuerromane. Seine fünf Bücher über die Seefahrt verkauften sich gut und wurden sogar für das Ausland übersetzt. Die 1930er Jahre waren für die Familie Lübke mit vier Kindern wirtschaftlich nicht einfach. Einige Monate verbrachte Lübke sogar wegen seiner Gesinnung in Untersuchungshaft.

Im Zweiten Weltkrieg wurde er erneut zur Kriegsmarine einberufen. Von 1943 bis 1945 leitete er die Seetransportstelle der Wehrmacht in Aarhus. Es wird berichtet, dass der Kapitän Lübke in Aarhus gute Kontakte zur dänischen Bevölkerung pflegte. Im September 1943 trug er durch geschicktes Taktieren maßgeblich dazu bei, die Flucht von rund 5.000 dänischen Juden über den Öresund nach Schweden zu ermöglichen und so die bereits geplante Deportierung ins Vernichtungslager zu verhindern.

Friedrich Wilhelm Lübke bewirtschaftete seinen Hof bis zu seinem Tode. Dass er den Hof in schwierigen Zeiten ab 1922 von 21 ha bis auf 37 ha aufbauen konnte, signalisiert seine unternehmerische Tüchtigkeit.

Lübke wird Politiker

Nach dem Zweiten Weltkrieg schlug seine Stunde als Politiker. Auf dem Hof in Augaard gründete er mit Freunden die CDU in Schleswig-Holstein und er wurde zum Mitgründer des Bauernverbandes. Auf Vorschlag des britischen Gouverneurs setzte der Oberpräsident Lübke, eine nazi-unbelastete Persönlichkeit, am 4. Februar 1946 als kommissarischen Landrat des Kreises Flensburg-Land ein. Ein halbes Jahr später wurde er vom neuen Kreistag zum Landrat gewählt, 1948 wiedergewählt und 1950 für weitere sechs Jahre als Landrat bestätigt.

Ab 1947 wurde er Abgeordneter im neuen Landtag in Kiel. Als Landrat beschäftigten ihn täglich die drängendsten Probleme, die sich aus der Verdoppelung der Einwohnerzahl 1945/46 ergeben hatten. Zählte der Landkreis 1939 insgesamt 43.887 Einwohner, so waren es 1946 schon 87.316 Personen.

Vordringlich war, für die Unterbringung der vielen Menschen zu sorgen, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln sicherzustellen und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu organisieren. Eine fast vergleichbare Situation zeigte sich überall in Schleswig-Holstein. Wie kein anderes Land in der Bundesrepublik war Schleswig-Holstein in der Nachkriegszeit ab 1945 vom Flüchtlingsstrom aus den deutschen Ostgebieten besonders gefordert und geprägt. Innerhalb weniger Monate hatte sich am Kriegsende die Einwohnerzahl von 1,5 Millionen um 1,1 Millionen auf rund 2,6 Millionen Menschen erhöht. Damit verbunden waren große wirtschaftliche und soziale Probleme. Schleswig-Holstein war in Deutschland das Gebiet mit der höchsten Flüchtlingsquote und der geringsten Steuerkraft.

Die schwierige wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation spiegelte sich auch in der Landespolitik ab 1946 wider. Bis zum Frühsommer 1951 hatten bereits vier Ministerpräsidenten die Regierung geführt. Eine politische Krise wurde von der nächsten abgelöst. Nach der vierten Kieler Regierungskrise wurde Friedrich Wilhelm Lübke am 25. Juni 1951 zum fünften Ministerpräsidenten des Landes gewählt. Es gelang ihm, in sehr kurzer Zeit eine neue Koalitionsregierung zu bilden. Als neuer Ministerpräsident organisierte er noch im Sommer 1951 bei der jungen Bundesregierung in Bonn erste Finanzhilfen, um die schwierige wirtschaftliche Lage Schleswig-Holsteins zu verbessern und das Flüchtlingsproblem zu lösen. Womöglich trug sein politisches Gewicht als Mitgründer der CDU dazu bei, dass seine sehr fundierten Vorschläge als wesentliche Entwicklungsimpulse Erfolg hatten.

Das Programm Nord

Sein erstes Sanierungsprogramm konzentrierte sich auf den strukturschwachen Raum an der dänischen Grenze. Unter dem Eindruck der Schäden nach der Flutkatastrophe von 1953 und angesichts der großen land- und wasserwirtschaftlichen Probleme in den Marschen und Niederungsgebieten konzipierte er ein großräumiges Sanierungsprogramm. Am 24. Februar 1953 fasste seine Landesregierung den folgenden Beschluss: „Die Erschließung der notleidenden Gebiete des Landesteiles Schleswig ist eine im Interesse der Landeskultur vordringlich durchzuführende Aufgabe. Zur Lösung ist ein sogenanntes Programm Nord ausgearbeitet worden.“

Skeptiker bezeichneten es damals als „Programm Utopia“, denn der strukturelle Unterschied zu dem seit 1920 entwickelten dänischen Grenzraum war riesengroß. Kleine Höfe, häufige Überschwemmungen in den Niederungen und Marschen, schwierige Vorflutverhältnisse und ein völlig unbefestigtes Straßen- und Wegenetz prägten die problematische Situation der ländlichen Gebiete. Der Start der Programm-Nord-Förderung lief im gleichen Jahr 1953 auf Hochtouren an. Bis Ende 1953 hatten die ersten Baumaßnahmen für den Gewässerausbau, für Wegebau und Flurbereinigung bereits ein Volumen von rund 8,1 Mio. DM erreicht. Dies entsprach einem volkswirtschaftlichen Wert von rund 2.000 ha Fläche.

Im Jahr 1954 war das Investitionsvolumen bereits auf rund 25 Mio. DM angewachsen. Das Programm Nord entwickelte sich in den folgenden zwei bis drei Jahrzehnten zum umfangreichsten Entwicklungsprogramm Deutschlands. Bis 1978 waren Investitionen in Höhe von rund 1,8 Mrd. DM in die ländlichen Gebiete erfolgt. Als Großprojekt im Programm Nord startete Lübke im Sommer 1953 die Eindeichung des deichreifen Vorlands südlich vom Hindenburgdamm. Besserer Küstenschutz sollte neues Land für Siedlung und Landwirtschaft bereitstellen. Mehr als 1.200 Arbeiter kamen ab Februar 1954 zum Einsatz, um dort bis Ende 1954 einen neuen Seedeich mit einem rund 1.200 ha großen Koog zu bauen.

Mit der Weitsicht eines Kapitäns und der Realitätsnähe eines Landwirts kümmerte sich Friedrich Wilhelm Lübke bereits als Landrat um eine bessere Straßeninfrastruktur in Angeln. Aus heutiger Sicht ist es eine beeindruckende Erfolgsgeschichte, dass am 26. März 1954 die 45 km lange Nordstraße (heutige B 199) zwischen Kappeln und Flensburg nach dreijähriger Planung und Bauzeit vom Ministerpräsidenten Lübke für den Verkehr eröffnet werden konnte. Bemerkenswert ist auch seine politische Vision für den Aufbau des Landes.

Nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten am 25. Juni 1951 stellte er 14 Tage später sein Regierungsprogramm im Landtag mit drei Schwerpunkten vor:

– Beseitigung der Arbeitslosigkeit durch Maßnahmen des Straßen-, Deich- und Wohnungsbaus, die Siedlung von Höfen und Melioration

– Förderung des Kulturlebens

– geistige Erneuerung der Demokratie

Er setzte auch auf Bildung und Kultur. Lübke hatte sich bereits 1946 mit der Gründung und dem Vorsitz des Vereins für Erwachsenenbildung und Büchereiwesen (ab 1949 in deutscher Grenzverein e. V. umbenannt) engagiert. Er gab den Impuls für die Akademie Sankelmark und organisierte sogar Bonner Hilfe für das Kulturprojekt. Am 17. Juni 1951 legte er als Landrat den Grundstein, am 29. Juni 1952 eröffnete er als Ministerpräsident feierlich die Akademie Sankelmark.

Friedrich Wilhelm Lübke war 1951 in politisch und wirtschaftlich schwierigster Zeit zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Nur 28 Abgeordnete stimmten im dritten Wahlgang für ihn bei 37 Neinstimmen. Weil keine Gegenkandidatur vorlag, war Lübke gewählt. Als man ihn für die Wahl zum Ministerpräsidenten nominierte, wurden Sektwetten für eine Chance von drei Monaten abgeschlossen.

Nicht ohne Kapitänsmütze

Als Friedrich Wilhelm Lübke drei Jahre später den Landtagswahlkampf startete, saß er fester denn je im Sattel. Er hatte nach einer Periode der nie zu Ende gehenden Krisen in drei Jahren eine stabile Regierung geführt und eine große Vertrauensgrundlage in der Bevölkerung erreicht. Dazu beigetragen hatte der Rückgang der Arbeitslosigkeit binnen drei Jahren von 24 auf 12 %. Für Friedrich Wilhelm Lübke hatten die Pflicht und die Verantwortung für das Land oberste Priorität. Das zeigte er gern mit seiner Kapitänsmütze.

In den Landtagswahlen am 12. September 1954 erzielte er für seine Partei einen großen Erfolg. Von schwerer Krankheit gezeichnet trat er am 11. Oktober 1954 nach der gewonnenen Landtagswahl vom Amt des Ministerpräsidenten zurück und starb fünf Tage später auf seinem Hof. Es war sicherlich ein besonderes Zeichen der hohen Wertschätzung aus dem benachbarten Dänemark, dass König Frederik IX. von Dänemark der Familie Lübke kondolierte.

Friedrich Wilhelm Lübke konnte viele Projekte, die er eingeleitet hatte, selbst nicht mehr erleben. Die Umsetzung des 30.000-ha-Programms mit der Schaffung von neuen Existenzen für rund 14.000 Neu- und Anliegersiedlungen oder die Fertigstellung seines Koogs mit Deichschluss am 21. Oktober 1954 zu erleben, war ihm nicht vergönnt. Mit der Namensgebung des neuen Koogs würdigte die Landesregierung die Verdienste von Friedrich Wilhelm Lübke für die Zukunft des Landes Schleswig-Holstein.

Aus Sicht des Autors spiegeln die vielen von Friedrich Wilhelm Lübke in kurzer Zeit initiierten Projekte das erfolgreiche Engagement für den Aufbau des Landes Schleswig-Holstein wider. Als ein noch größeres Verdienst seiner Regierungszeit ist sicherlich zu werten, dass es ihm gelungen ist, in kurzer Zeit die Demokratie im turbulenten Nachkriegs-Schleswig-Holstein zu festigen und ein versöhnliches Verhältnis zum Nachbarland Dänemark zu entwickeln. Vielleicht war er damit ein früher Mitimpulsgeber für unsere heutige EU. Vielleicht waren seine zielorientierten Fähigkeiten als Kapitän, gepaart mit Erfahrungen und Kontakten auf allen Kontinenten, und seine Bodenständigkeit als Landwirt mit dem Wissen für praktische, umsetzbare Lösungen gute Eigenschaften für Regierungshandeln in schwerer wirtschaftlicher und politischer Zeit.

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