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Raus auf die Weide mit den Jüngsten

Rinder aktuell: Abkalbungssysteme in der Mutterkuhhaltung
Von Hannah Lehrke, Landwirtschaftskammer SH
Verlässt der Deckbulle mit dem Absetzen der Bullenkälber die Herde, können diese über den Winter eine gemeinsame Gruppe bilden. Dem Gemüt des Deckbullen kommt in der Mutterkuhhaltung eine entscheidende Rolle zu. Fotos: Hannah Lehrke

Kühe mit Kälbern auf der Weide sind in den grünlandbetonten Regionen ein typisches Bild im Sommer, das auch in der Wahrnehmung des Verbrauchers eine immer höhere Bedeutung erlangt. Dabei ist die Weidehaltung nicht nur schön anzusehen, ihr wird auch ein hohes Maß an Tierwohl zugesprochen. Gleichzeitig steigt auch in der Mutterkuhhaltung der Anspruch an die tierwohlgerechte Haltung der Tiere.

Während Fleisch- und Robustrinderrassen mit den Witterungsbedingungen leichter zurechtkommen als milchbetonte Rassen, muss die Weidehaltung auch bei Robustrindern in sensiblen Phasen wie der Abkalbung und Kälberaufzucht den Ansprüchen von Kühen und Kälbern gerecht werden.

Für eine erfolgreiche Mutterkuhhaltung ist ein instinktsicheres Verhalten der Kühe zur Kalbung von großer Bedeutung. Besonders bei erfahrenen Kühen ist dabei häufig zu beobachten, dass sie sich bereits frühzeitig vor der Kalbung von der Herde absondern und möglichst nur in Sichtweite der Herde bleiben. Neugeborene Kälber werden in den ersten Tagen gegen andere Tiere der Herde abgeschirmt und in sicherer Entfernung abgelegt. Kuh und Kalb bauen in dieser ersten Zeit eine enge Bindung auf. Um dieses Verhalten frei ausleben zu können, bietet die Weidehaltung optimale Bedingungen.

Gleichzeitig sind neugeborene Kälber in den ersten Tagen nach der Geburt aufgrund mangelnder Energiereserven deutlich empfindlicher gegenüber niedrigen Temperaturen, nasser Witterung und haben höhere Ansprüche an eine hygienische Umgebung. Ebenso ist die Aufnahme von ausreichend Kolostrum in den ersten Lebensstunden entscheidend für eine gesunde Kälberaufzucht. Bei der Abkalbung auf der Weide kann die Sicherstellung dieser Grundbedingungen in Abhängigkeit von der Jahreszeit zu einer Herausforderung werden.

Die Sommerweide für Kälber gibt nicht nur ein gutes Bild ab und findet großen Zuspruch bei Spaziergängern, sondern bietet auch ein gesundes Haltungsumfeld mit großem Platzangebot.

Saisonal oder kontinuierlich

Den Ansprüchen von Kuh und Kalb Rechnung zu tragen, liegt nach § 2 Tierschutzgesetz in der Verantwortung des Tierhalters. Mit Blick auf die Kalbung und Unterbringung der Kälber in den ersten Lebenstagen lässt sich bereits durch die sinnvolle Planung der Bedeckung frühzeitig Einfluss nehmen. Dabei passt kein System immer auf alle Betriebe, vielmehr ist im Einzelfall abzuwägen, welche betrieblichen Ausstattungen vorhanden sind oder bei Bedarf angepasst werden können. Für eine Winterabkalbung ist ein entsprechendes Stallgebäude mit ausreichendem Platzangebot notwendig. Bei einer Frühjahrs- oder Sommerabkalbung müssen auch die Weideflächen so gelegen sein, dass sie den Tieren ausreichende Rückzugsmöglichkeiten bieten und trotzdem eine effektive Tierkontrolle und ein tierärztliches Eingreifen im Bedarfsfall möglich machen. Auch die Kennzeichnung neugeborener Kälber muss sichergestellt werden.

Nicht zuletzt beeinflusst die Wahl des Abkalberhythmus aber auch die spätere Verfügbarkeit marktreifer Tiere für den Verkauf. Betriebe, die über eine Direktvermarktung Tiere verkaufen, benötigen unter Umständen kontinuierlicher schlachtreife Tiere als Betriebe, die ihre Tiere an den Schlachthof abgeben.

Welches System passt zum Betrieb?

Ausschlaggebend dafür, ob eine kontinuierliche oder saisonale Abkalbung für den Betrieb geeigneter ist, ist es, wie sich die jeweiligen Vor- beziehungsweise Nachteile des Verfahrens mit den betrieblichen Strukturen vereinbaren lassen. Gibt die Frage nach den Vermarktungsmöglichkeiten die Entscheidung vor, müssen die betrieblichen Gegebenheiten so weit angepasst werden, dass ein gutes Tierwohlniveau erreicht wird.

Die saisonale Kalbung bietet den Vorteil, dass über den konzentrierten Abkalbezeitraum größere und gleichmäßigere Partien an Kälbern beziehungsweise späteren Absetzern erzeugt werden. Außerdem lässt sich der Weideaufwuchs bei einem angepassten Abkalbezeitraum im Frühjahr optimal nutzen und ist damit auch aus ökonomischer Sicht ein Gewinn.

Im Nachteil ist die saisonale Abkalbung hingegen bei der Arbeitsorganisation und beim Platzbedarf, wenn die Abkalbung im Stall stattfindet. Gerade in größeren Betrieben verursacht sie Arbeitsspitzen, die durch die verantwortlichen Landwirte und Mitarbeiter leistbar sein müssen, um jedem Kalb die notwendige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Außerdem ist die gleichmäßige Verfügbarkeit von schlachtreifen Tieren über das ganze Jahr deutlich eingeschränkt, je konzentrierter der Abkalbeblock ist.

Alle diese Nachteile können durch eine kontinuierliche Abkalbung gelöst werden. Gleichzeitig fällt dadurch zwangsläufig ein Teil der Abkalbungen in den Winter, was eine Aufstallung der Tiere unerlässlich macht, um dem Witterungsschutz gerecht zu werden. Damit kommt eine kontinuierliche Abkalbung häufig nur für Betriebe infrage, die ihre Tiere im Winter ohnehin aufstallen. Sollen Robustrinder das ganze Jahr über auf der Weide gehalten werden, ist eine saisonale Abkalbung sinnvoll.

Besonders Kälber aus ökologischer Haltung müssen bereits früh im Jahr auf der Weide gehalten werden. Eine angepasste Zufütterung und ausreichender Witterungsschutz sind dabei besonders für Kälber milchbetonter Rassen essenziell für eine tierwohlgerechte Weidehaltung von Kälbern und Jungtieren.

Deckbullen rechtzeitig separieren

Zur Ausbildung einer saisonalen Blockabkalbung muss der Deckbulle für einen gewissen Zeitraum von der Herde getrennt werden. Bei einer durchschnittlichen Tragezeit von 280 Tagen sollte der Bulle die Herde spätestens zum Jahreswechsel verlassen, damit die letzten Kalbungen des Folgejahres nicht später als im Oktober stattfinden und damit sicher vor der ersten Frostperiode. Umgekehrt bestimmt die Flächenausstattung, wann der Bulle zur Herde gelassen wird und wie die optimale Ausnutzung des Grasaufwuchses genutzt werden kann. Außerdem sollten späte Fröste und Schneefälle, wie sie bis in den April hinein teilweise vorkommen können, möglichst vermieden werden. So empfiehlt es sich, den Deckbullen erst zum 1. Juli wieder zu den Kühen zu lassen.

Niedrige Temperaturen und trockene Kälte machen älteren Robustrindern bei ausreichender Zufütterung nichts aus. Junge Kälber allerdings sind dagegen noch nicht ausreichend geschützt.

Besonders ökologisch wirtschaftende Betriebe können frühe Kal­bungen vor eine Herausforderung stellen, wenn die Weidehaltung an einen festen Stichtag gebunden ist und der Weideauftrieb auch bei schlechter Witterung erfolgen muss. Ein späterer Abkalbeblock verhindert effektiv, dass Kälber bei widrigen Witterungsverhältnissen geboren werden. Ansonsten kann die Bereitstellung von ausreichendem Witterungsschutz schnell zu einer Herausforderung werden.

Bieten die Flächen wenig natürlichen oder künstlichen Witterungsschutz oder sind besonders feucht gelegen, sollten die ersten Kalbungen auch erst für Mai geplant werden. Einzelne kalte Nächte sind für die neugeborenen Kälber weniger gefährlich als Feuchtigkeit durch starke Niederschläge. Eine trockene Liegefläche muss in jedem Fall gegeben sein. Für kranke Tiere oder Tiere, die sich in den ersten Tagen nicht ausreichend entwickeln, sollte es in jedem Fall eine Möglichkeit zur Separation geben.

Eine zusätzliche Herausforderung, die durch die saisonale Abkalbung gemeistert werden kann, ist die ungewollte Bedeckung geschlechtsreifer Jungtiere. Jedoch ist auch hier darauf zu achten, wie lange die weiblichen Kälber bei den Müttern gehalten werden können, wenn der Deckbulle noch in der Herde ist. Eine Bedeckung von Jungtieren im ersten Jahr muss in jedem Fall vermieden und die Tiere rechtzeitig abgesetzt werden, wenn der Bulle noch bei den Kühen verbleiben soll. Eine gute Fruchtbarkeit und Gesundheit sowie eine angepasste Gruppengröße für den Deckbullen sichern eine gute Trächtigkeitsrate und ermöglichen einen kurzen Abkalbeblock.

Fazit

Auch in der Weidehaltung ist das Tierwohl von zentraler Bedeutung. Die Haltungsbedingungen von Kühen und Kälbern müssen sich an ihren Bedürfnissen orientieren. Dabei sollte die Entscheidung für eine kontinuierliche oder saisonale Abkalbung in Abhängigkeit von der betrieblichen Gebäude- und Flächenausstattung getroffen werden. Die Vor- und Nachteile beider Systeme sind dabei gegeneinander abzuwägen, wobei auch die Personalkapazität und die Vermarktungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle spielen, dies aber nicht zulasten des Tierwohls entschieden werden darf.

Wenn eine Weidehaltung bei ökologisch wirtschaftenden Betrieben in festgelegten Zeiträumen vorgeschrieben ist, muss auch hier den Ansprüchen der Tiere an einen angemessenen Witterungsschutz entsprochen werden.

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