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Menschen und Milchkühe

Rinder aktuell: Wie groß ist die Nahrungskonkurrenz?
Von Lukas Rohwer, Prof. Katrin Mahlkow-Nerge, Fachhochschule Kiel, ­Fachbereich Agrarwirtschaft
Eine weltweit steigende Nachfrage nach Lebensmitteln und ein Verlust an landwirtschaftlicher Nutzfläche schüren die Diskussionen über die Konkurrenz zwischen menschlichen Nahrungsmitteln und tierischen Futtermitteln. Fotos: Prof. Katrin Mahlkow-Nerge

Drei verschiedene weltweite Entwicklungen führen dazu, dass immer häufiger die Frage gestellt wird, wie die Ernährungssicherheit gewährleistet werden kann, ohne negative Auswirkungen auf die Umwelt hervorzurufen oder zu verstärken. Zu diesen Ursachen gehören das rasante Bevölkerungswachstum, der jährliche Verlust von landwirtschaftlicher Nutzfläche zum Beispiel aufgrund der Ausweitung von Siedlungs- und Verkehrsflächen und zusätzlich der Klimawandel.

Diese drei Faktoren sorgen dafür, dass die Nachfrage nach Lebensmitteln, vor allem auch nach tierischen, weiter ansteigt, während die Seite der Lebensmittelproduktion durch Flächenverluste und Produktionsunsicherheiten eingeschränkt wird , was die Ernährungssicherheit negativ beeinflusst. Diskussionen über die Konkurrenz zwischen menschlichen Nahrungsmitteln und tierischen Futtermitteln führen zunehmend zu Forderungen nach Veränderung der Tierhaltung. Nachfolgend soll daher die Nahrungskonkurrenz zwischen Menschen und Milchkühen näher betrachtet werden.

Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen

Von der 16,6 Mio. ha großen landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland wurden im Jahr 2019 zirka 60 % für den Anbau von Futtermitteln, 22 % für Nahrungsmittel, 14 % für Energiepflanzen, 2 % für Industriepflanzen und 2 % für Brache und Stilllegung genutzt. Auch die Renaturierung, der Naturschutz, Windparks, Solarenergie, Straßen und Häuser konkurrieren miteinander um Fläche (Abbildung 1).

Die Ernährung beziehungsweise Fütterung von Menschen und Milchkühen ist nicht identisch und konkurriert deshalb nur um einen Teilbereich der verfügbaren Biomasse, da Wiederkäuer Futtermittel mit hohem Zelluloseanteil deutlich besser verdauen können als der Mensch. Mit derartigem Futter (zellulosereiches Grundfutter) lassen sich Jahresmilchmengen je Kuh von 5.000 kg und mehr erzielen. Mit steigenden Leistungen aber müssen zur Bedarfsdeckung zusätzlich energie- und eiweißreichere Komponenten eingesetzt werden, die mit der Humanernährung konkurrieren.

Die Nahrungsmittelkonkurrenz tritt auf, wenn Tiere mit Produkten gefüttert werden, die ebenfalls direkt in der menschlichen Ernährung eingesetzt werden könnten wie zum Beispiel bei der Verfütterung von Getreide. Um die Wirkung der Verfütterung beurteilen zu können, wird der Anteil des in einem Futtermittel enthaltenen menschlich verwertbaren Proteins beziehungsweise der Energie ins Verhältnis zum Protein-/Energieoutput in Form von Milch und Fleisch gesetzt (siehe Kasten).

Die Konkurrenz hängt sehr von der Höhe des Grundfuttereinsatzes, dem Anteil an Nebenprodukten und der Milchleistung ab.

Die Möglichkeit des Anbaus von Nahrungs- und Futtermitteln auf Ackerland kann eine direkte Konkurrenz um landwirtschaftliche Nutzfläche und um die Versorgung von Menschen und Tieren verursachen. Die klimatischen Bedingungen und die Bodenqualität entscheiden darüber, was auf den Flächen angebaut werden kann und ob damit eine Konkurrenz entsteht. Die Flächenkonkurrenz betrachtet somit die Bodennutzung und vergleicht das direkte pflanzliche Produktionspotenzial der Fläche (für die Produktion von menschlich nutzbarem Protein/Energie) mit der Protein-/Energiebereitstellung von Milchkühen, die mit Anbauprodukten der identischen Fläche erzeugt werden könnten (siehe Kasten).

Die Nahrungskonkurrenz von Milchkühen ist häufig geringer als deren Flächenkonkurrenz, da ein Teil der Futterration veredelt wird, der sonst nicht für den Menschen nutzbar wäre.

Insgesamt sind dabei der Flächenbedarf, die Ackerfähigkeit und die Effizienz der Milchproduktion in Bezug auf Futterverwertung und Remontierung von Bedeutung.

Beide Indikatoren geben ein Verhältnis an. Ein Wert größer als 1 würde bei der Nahrungsmittelkonkurrenz bedeuten, dass das Produkt mehr Protein/Energie für die Humanernährung bereitstellen würde, wenn es direkt von Menschen konsumiert würde. Ein Wert von unter 1 verdeutlicht, dass über die Nutzung in der Milchproduktion in Summe mehr Protein/Energie für die Humanernährung bereitgestellt werden kann.

Bei der Flächenkonkurrenz bedeuten Werte über 1, dass das ackerbauliche Potenzial der Fläche mehr Protein/Energie bereitstellen kann, als es über die Nutzung für die Milchproduktion möglich wäre. Ein Wert unter 1 entspricht demgegenüber einem positiven Beitrag der Milchproduktion zur Bereitstellung von Protein/Energie für den Menschen.

Beispielhafte Berechnungen zeigen, dass die Nahrungskonkurrenz von Milchkuhrationen häufig geringer ausfällt als die Flächenkonkurrenz, da ein Teil der Ration veredelt wird, der sonst nicht für den Menschen nutzbar wäre, wodurch eine positive Bilanz der für den Menschen verfügbaren Energie-/Proteinmenge entsteht.

Ausmaß der Nahrungskonkurrenz

Die Nutzung von Biomasse als Futtermittel sorgt nicht zwangsläufig für eine Nahrungs- oder Flächenkonkurrenz, denn bei der Produktion von 1 kg veganem Lebensmittel entstehen als Nebenprodukte mindestens zirka 4 kg nicht essbare Biomasse (Abbildung 2). Koppelprodukte, Zwischenkulturen, Grünland und Nebenprodukte aus der industriellen Verarbeitung gehören zu der nicht essbaren Biomasse und sind nicht für die Humanernährung geeignet.

Zirka 86 % der von Nutztieren verbrauchten Futtermittel sind Produkte, die aktuell nicht in der menschlichen Ernährung eingesetzt werden. Die Neben- und Beiprodukte der industriellen Verarbeitung machen davon einen Anteil von rund 30 % aus.

Zukünftige Anpassungsmöglichkeiten

Die Rolle von Nutztieren in Bezug auf die Erreichung eines umweltverträglichen und nachhaltigen Nahrungsproduktionssystems wird zunehmend hinterfragt und muss vor dem Hintergrund des Bevölkerungswachstums und der Erreichung der Ernährungssicherheit betrachtet werden. Von Fachleuten werden drei Anpassungsmöglichkeiten vorgestellt:

Erhöhung der Tierproduktion mit Reduktion der Umweltauswirkungen pro Tier

Verzicht beziehungsweise die massive Reduktion der Tierproduktion und des Konsums tierischer Produkte

Kombination von Reduktion des Konsums tierischer Produkte sowie die Beschränkung der Nahrungskonkurrenz mittels gezielter Nutzung von Nebenprodukten

Ein grundsätzlicher Verzicht auf Milchkühe würde dazu führen, dass die gesamte nicht essbare Biomasse für die Humanernährung ungenutzt bliebe und tierische Nahrungsmittel durch eine Ausweitung des Ackerbaus kompensiert werden müssten.

Mit weniger, aber leistungsstärkeren Tieren lassen sich verfügbare Ressourcen besser nutzen. Eine Erhöhung der Effizienz der pflanzlichen Produktion sowie Verbesserung der Flächenerträge, optimale Rationsgestaltung, Erhöhung der Leistungsfähigkeit (siehe Tabelle) der Herde, Erhöhung der durchschnittlichen Laktationszahl, Verringerung von Krankheiten, Verbesserung der Fruchtbarkeit und eine Optimierung der Futternutzung können zur Reduktion der Konkurrenz beitragen.

Ein Verzicht beziehungsweise eine starke Reduktion von tierischen Nahrungsmitteln würde die Umweltauswirkungen im Vergleich zu einer Ernährung mit hohem Anteil tierischer Nahrungsmittel reduzieren. Die Nahrungskonkurrenz würde aufgrund des Wegfalls anderer Konsumenten der pflanzlichen Produkte reduziert, und es würde Ackerfläche für die Produktion weiterer Lebensmittel freigegeben werden.

Würden alle Menschen zu einer veganen Ernährung übergehen, könnten aber auch keine Nebenprodukte von Nutztieren mehr in das Ernährungssystem zurückgebracht werden. Die Umweltvorteile von Futtermitteln mit geringen Opportunitätskosten könnten deshalb nicht mehr genutzt werden. Auch würde der Beitrag der tierischen Nahrungsmittel zur Versorgung der Weltbevölkerung, die aus nicht essbaren Produkten gewonnen werden können, entfallen.

Die Kombination der ersten beiden Varianten würde die Nutztierhaltung auf ein Niveau reduzieren, bei dem Nahrungskonkurrenzen verhindert werden könnten. Tiere sollten demnach vor allem Biomasse nutzen, die der Mensch nicht verdauen kann, und diese in nährstoffreiche Nahrungsmittel umwandeln. Hierdurch könnte die Ernährung von Menschen mit dem minimalen Einsatz von Ackerflächen erfolgen. Der Bedarf an Ackerland würde damit geringer ausfallen als bei einer rein veganen Ernährung beziehungsweise im Vergleich zur aktuellen Ernährung in Ländern mit hohen Einkommen. Zusätzlich würde ein wichtiger Beitrag zur Ernährung der Weltbevölkerung geleistet werden.

Fazit

Ein Verzicht auf alle Nutztiere würde dazu führen, dass die gesamte nicht essbare Biomasse für die Humanernährung ungenutzt bliebe und tierische Nahrungsmittel durch eine Ausweitung des Ackerbaus kompensiert werden müssten. Da 30 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche von Deutschland Grünlandbestände sind, würde ein großer Teil der Fläche ungenutzt bleiben oder müsste zur ackerbaulichen Nutzung umgebrochen werden, woraus die Freisetzung von Kohlenstoff und negative Effekte für die Biodiversität resultieren würden. Die Bereiche der Effizienz, der Emissionen und der Nahrungskonkurrenz stehen miteinander in Konflikt. Für die Entwicklung zukünftiger Produktionssysteme muss ein Kompromiss gefunden werden.

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