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„Gesundheit beginnt im Alltag“

Wie Prävention Frauen stärken kann
Von Interview: Meike von der Goltz
Dr. Gisa Andresen ist Geschäftsführerin der Ärztekammer Schleswig-Holstein. Foto: privat

Immer mehr Frauen spüren, wie voll ihr Alltag geworden ist: Familie, Beruf, „nebenbei“ Care-Arbeit und Engagement im Dorf – da bleibt die Gesundheit oft als Erstes auf der Strecke. Genau hier setzt die neue Gesundheitskampagne „Risiko? Nein danke! Runter vom Sofa: Warum Vorbeugen besser ist als Heilen“ an, die der LandFrauenverband Schleswig-Holstein e. V. (lfv) in diesem Jahr gemeinsam mit der Ärztekammer Schleswig-Holstein gestartet hat. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie wir im täglichen Trubel kleine, aber wirkungsvolle Schritte für ein gesünderes Leben finden können. Dr. Gisa Andresen, ärztliche Geschäftsführerin der Ärztekammer Schleswig-Holstein, sprach mit dem lfv darüber, welche Risiken viele Frauen unterschätzen, warum Prävention kein Luxus ist und wie Frauen ihre Gesundheit mit einfachen Mitteln stärken können.

Im Titel unserer gemeinsamen, neuen Gesundheitskation heißt es „Vorbeugen ist besser als Heilen“ – was sind Ihrer Erfahrung nach die größten unterschätzen Gesundheitsrisiken im Alltag?

Dr. Gisa Andresen: Das sind die lieb gewonnenen Gewohnheiten, die 80 % der Deutschen unterschätzen: Fehlernährung, Bewegungsmangel und Rauchen. Solange es mir gut geht, muss ich ja nichts an meinem Lebensstil ändern. Die Hälfte der Personen, die rauchen oder regelmäßig Alkohol trinken, gibt an, sie lebten gesund.

Welche Rolle spielen Bewegung, Ernährung und Alltagsroutinen wirklich – und was wird häufig falsch eingeschätzt?

Positiv ausgedrückt: Wer sich gesund ernährt, kann bis zu zehn Lebensjahre gewinnen, wer es schafft, sich pro Woche 150 min moderat – das heißt ohne zu schwitzen – zu bewegen, kann seine Lebenszeit um bis zu vier Jahre verlängern. Und gut 40 % aller Krebserkrankungen ließen sich verhindern, wenn man die Risikofaktoren Rauchen, Alkohol, ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel und Übergewicht vermeidet.

Viele wissen, dass sie sich mehr bewegen sollten – und tun es trotzdem nicht. Was hilft nachweislich, den inneren Schweinehund zu überwinden?

Kleine, erreichbare Ziele setzen: nicht untrainiert versuchen, 10 km zu joggen, um nach 2 km entnervt aufzugeben; sich Gleichgesinnte suchen und gemeinsam auf den Weg machen, dann fällt es auch schwerer, Ausreden zu finden. Oder passende Angebote suchen für „Ältere“ oder „Pfundige“, damit der Vergleich mit jungen, fitten, schlanken Menschen einen nicht demotiviert.

Welche einfachen Maßnahmen können wir denn beispielsweise sofort in unseren Alltag einbauen? Gibt es typische Fehler, die man beim Neustart vermeiden sollte?

Treppensteigen statt Fahrstuhl, Fahrrad statt Auto, mit sich selbst in den Wettbewerb gehen, wie eine Kampagne aus Rheinland-Pfalz es vormacht nach dem Motto „Mach‘s zur Gewohnheit – Dein bewegter Mai“. Hier erinnerten die Karten eines Kartenspiels an tägliche kleine Übungen im Alltag, die später zur Gewohnheit wurden. Oder sinnlose Zeit wie das Warten vor dem Kaffeeautomaten, an der Supermarktkasse oder beim Zähneputzen dazu nutzen, auf einem Bein zu stehen. Und – auch das hilft nachweislich – mit sich selbst in den Wettbewerb gehen und auf einem „Challenge-Zettel“ am Kühlschrank Häkchen setzen für Bewegung, wie ein „Ärzteblatt“-Redakteur seine erfolgreiche Bewegungs-Challenge beschrieb.

Was sind aus Ihrer Sicht besondere gesundheitliche Herausforderungen für Frauen heutzutage?

Die „Sorge-Arbeit“, das Kümmern um alle anderen liegt immer noch hauptsächlich bei den Frauen, gefühlt noch stärker auf dem Land, wo dieser Einsatz traditionell erwartet wird. Das führt natürlich neben der inzwischen ebenfalls erwarteten Berufstätigkeit zur immer wieder beschriebenen Doppelbelastung – die Frauen tragen eine doppelte Last mit dem doppelten Risiko zu erkranken.

Wo haben LandFrauen/Frauen im ländlichen Raum sogar Vorteile – Stichwort frische Luft, Natur, Gemeinschaft?

Natur und Garten vor der Tür laden dazu ein, sich draußen zu bewegen. Für dieses Angebot müsste ich in der Stadt weit fahren, das wiederum ist vielen zu aufwendig.

Außerdem kann ich mich in Gemeinschaft begeben und bewegen. Man kennt sich, es gibt den LandFrauenverein, der regelmäßig zum Beispiel Fahrradtouren anbietet.

Welche Beschwerden oder Erkrankungen begegnen Ihnen in der Praxis am häufigsten, die klar vermeidbar wären?

Das sind die Rückenschmerzen – wir sitzen immer mehr und bewegen uns immer weniger, die Muskeln haben nichts mehr zu tun und verabschieden sich in den Ruhestand.

Alle zehn Jahre verlieren wir 5 % unserer Muskulatur, ab 70 geht‘s rapide „abwärts“. Das Resultat sind Schmerzen.

Da hilft der ergonomisch gestaltete Bürostuhl wenig. Was hilft, ist das Training der tiefen Rückenmuskulatur, die brauchen wir, um die Wirbelsäule zu stabilisieren und damit vor Rückenschmerzen zu bewahren.

Und da geht noch was, in jedem Alter kann man Muskulatur erhalten und wiederaufbauen. Dr. Dietrich Grönemeyer – unter anderem Spezialist für Wirbelsäulendiagnostik – hat es provokativ auf den Punkt gebracht mit seiner Aufforderung: Turne bis zur Urne!

Ab wann wird ein „harmloser“ Lebenstil wirklich gefährlich?

In diesem Zusammenhang haben mich folgende Zahlen tief beeindruckt: Auf vier Risikofaktoren, die mit dem „harmlosen“ Lebensstil zusammenhängen (Rauchen, Alkohol, ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel) lassen sich vier von zehn Todesfällen zurückführen. Allein Übergewicht, Tabak- und Alkoholkonsum verursachen im Jahr Kosten von mehr als 200 Mrd. €.

Bis zu 24 zusätzliche Lebensjahre sind möglich – das zeigt eine große amerikanische Studie –, wenn man ab dem 40. Lebensjahr gesunde Gewohnheiten pflegt, also nicht raucht, sich regelmäßig bewegt, ausgewogen ernährt, gut schläft und gelernt hat, mit Stress umzugehen.

Wie können Frauen lernen, besser auf sich selbst zu achten ohne schlechtes Gewissen?

Da hilft Mathematik: Mehr als neun Jahre ihres Lebens verbringen Frauen bei schlechter Gesundheit, das sind drei Jahre mehr als Männer. Wenn wir es schaffen könnten, diese Zahl zu senken, gewinnen wir persönlich nicht nur mehr gesunde Lebensjahre und -qualität, sondern die Gesellschaft weltweit durch Steigerung der Erwerbsfähigkeit bis zu 1 Bio. (zwölf Nullen!) US-$ pro Jahr – sagte das Weltwirtschaftsforum in Davos 2024.

Welche unterstützenden Angebote oder Strukturen gibt es bereits in Schleswig-Holstein, die zu wenig genutzt werden?

Bewegung und Bewusstsein können zu einem gesünderen Lebensstil führen. Foto: Meike von der Goltz

Fast jede Krankenkasse hat Angebote zur Prävention. Die Landesarbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung in Schleswig-Holstein (LVGFSH), deren Geschäftsführerin Svenja Langemack zu meiner großen Freude sich die Vorträge mit mir teilen wird, begleitet, fördert und unterstützt viele gesundheitsfördernde Projekte. Viele Arbeitgeber bieten im Rahmen ihres betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) ebenfalls gesundheitsfördernde Unterstützung an und die Sportvereine bieten Motivation, Anleitung und Gemeinschaft zur Bewegung.

Was wünschen Sie sich von Politik, Ärzten und Ärztinnen sowie den Organisationen, um Prävention stärker zu verankern?

Insgesamt wird leider viel zu wenig investiert in das Thema Prävention. Zum Vergleich: Für unser „Reparatursystem“ Gesundheitswesen geben wir pro Jahr und gesetzlich Versichertem zirka 5.000 € aus, für Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung von Krankheiten 8,49 € pro Person.

Prävention muss in den politischen Fokus rücken, es muss allen klar sein oder erklärt werden, dass es sinnvoller ist, Krankheiten zu vermeiden und Lebensqualität zu verbessern, als auf teure Reparaturversuche zu setzen, indem man sich erst dann um Gesundheit kümmert, wenn die Krankheit da ist. Die Zahl der chronisch Kranken und damit die Krankheitslast wird sich erhöhen, der Versorgungsbedarf wird steigen. Setzte man mit Blick auf den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel nicht auf das Potenzial der Prävention, wäre das – nett ausgedrückt – unvernünftig!

Anfangen muss man mit der Steigerung des Wissens um Gesundheit, mit der Gesundheitskompetenz im Kindergarten beziehungsweise schon in der Schwangerschaft mit der Aufklärung der werdenden Mütter.

Welchen Maßnahmen empfehlen Sie, die wirkungsvoll und sofort umsetzbar sind?

Zum Tanzkurs anmelden, um effektive Sturz- und Demenzprophylaxe zu betreiben. Treppe statt Fahrstuhl, Spaziergang in der Mittagspause, Wurst ohne Pommes oder Pommes ohne Wurst …

Info

Einmal im Monat stellen wir ab jetzt an dieser Stelle unsere Kooperationspartner vor, die mit uns LandFrauen für Gemeinschaft, Stärke und Zusammenhalt auf dem Land stehen.

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